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Literaturforum: Georg Büchner - Woyzeck


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Forum > Rezensionen > Georg Büchner - Woyzeck
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 Thema: Georg Büchner - Woyzeck
Hermeneutiker
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Eröffnungsbeitrag Abgeschickt am: 14.02.2009 um 11:31 Uhr

„Die Büchnerforschung ist das Waterloo der Germanistik“: Diese treffende Bemerkung des Spiegel-Redakteurs Johannes Saltzwedel bezog sich auf den Höhepunkt der Streitereien über editorische Fragen und konkurrierende Büchner-Ausgaben, sie gilt aber genauso oder noch mehr für die hermeneutischen Leistungen der Zunft. Vor allem in Bezug auf Büchners Dramenfragment "Woyzeck" wird allerseits mehr vernebelt und zwar systematisch, als erhellt.

Schon die äußere Form der Woyzeck-Handschriftenentwürfe – der junge Dramatiker verstarb vor der Fertigstellung: Karikaturen, Streichungen, Abbrüche, Überarbeitung einzelner Szenen, lassen auf eine außerordentliche Ergriffenheit des Autors bei der Abfassung der Texte schließen, die nur schlecht zu der gängigen Sichtweise passt, hier habe der ins Exil getriebene Sozialrevolutionär einen historischen Fall dramaturgisch zurechtgerückt und anstelle eines unzurechnungsfähigen Täters die Gesellschaft angeklagt. Das hat er zwar auch, aber anders, als die in die Germanistik und Pädagogik emigrierten Altachtundsechziger uns beständig weismachen wollen.

Wer Büchners Anliegen genauer auf die Spur kommen will, darf sich nicht mit Bearbeitungen, den sogenannten Lese- und Bühnenfassungen begnügen. Wichtige Szenen sind dort nicht enthalten, beispielsweise die Szene „Im Hof des Professors“. Bessere Ausgaben enthalten aber die Entwurfsstufen, die man beim zweiten Lesen hinzuziehen sollte. Es sind kurze Szenen und der Aufwand hält sich in Grenzen.

Worauf sollte man achten? Es herrscht in der Büchnerforschung Konsens darüber, dass der Autor extrem mit Sekundärtexten operiert. Ganz offensichtlich ist das im Falle der Bibel. Man muss diesen Anspielungen nachgehen und entweder die entsprechenden Stellen kennen oder einen Kommentar hinzuziehen. Die alttestamentarischen Verweise gelten insbesondere Sodom und Gommora (Lot), sehr auffallend auch der „Herodes“, daneben auch ein neutestamentarisches Zitat (Jesus und die Ehebrecherin). Weiterhin bekannt sind die Querverweise auf Goethes "Faust I". Die weibliche Figur des ersten Entwurfs heißt Margreth, die Szenen „Freies Feld“ spielen auf ähnliche Titel im "Faust" an und die „rote Schnur um den Hals“ der Getöteten ebenfalls. Bislang nicht bekannt ist die Intertextualität in Bezug auf "Hamlet": Der „Igel“ in der Eingansszene (Geistszene: Stacheltier), der rollende Kopf und das Hohle (Totengräberszene) das Wahninnsmotiv, die Binnenaufführung (im "Hamlet" auf dem Theater, im Woyzeck das Großmuttermärchen) und nicht zuletzt die Verzweiflungsszene der Marie, die keine Vergebung erlangen kann (König im "Hamlet" beim Gebet).

Der intellektuelle Aufwand, der zum Verständnis des Woyzeck erforderlich ist, passt augenscheinlich kaum zu der gängigerweise eindimensional als nicht weiter hinterfragbar angesehen psychisch kranken männlichen Hauptfigur. Das Drama ist indessen als ambivalent zu betrachten. Weitere Codes: „Sonne“, „Heiß“ usw. sind sexuell zu verstehen, das ist insbesondere bei „heiß“ dann nicht mehr banal, wenn es für jede Passage gilt, also auch dort, wo Kinder im Spiel sind. Das Gleiche, die sexuelle Konnotation gilt für die "Mücken". (Klartext in Dantons Tod I.5. Wichtig für das Märchen.) Weiterhin achte man auf die Metaphern- bzw. Bildketten „Fenster“ und „Auge“, „Vieh/Mensch“ „groß/klein“ (kopulierende Hunde mit zuschauenden Kindern) und das Wortfeld „Messer“. („Das Kind gibt mir einen Stich ins Herz“ = Syllepse).

Wer diese Hinweise beachtet wird feststellen, dass die Nebenfiguren, die Woyzeck fertigmachen, immer mit einem auffälligen sinnlichen Unterton mit sich führen. In besagter Szene „Der Hof des Professors“ wird die einem Woyzeck meist nicht zugestandene aristotelische Fallhöhe szenisch dargestellt, der tiefste Punkt landet bei dem Stichwort „Mutter“. Dazu empfehle ich, die wenigen anderen wörtlichen Erwähnungen „Mutter“ und „Vater“ nicht zu überlesen und gegebenenfalls zu entschlüsseln.

Büchners Genie, seine Aggressivität aber auch sein Lachen sind erst dann wirklich zu würdigen, wenn man seine virtuose Rhetorik nachvollzieht und die Konspiration auch dort entdeckt, wo es nicht nur gegen den alten Klassenfeind geht.

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LX.C
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1. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 14.02.2009 um 12:30 Uhr

Interessante Beiträge, die du hier verfasst. Willkommen erstmal.
Aber das mit der Fallhöhe kommt glaube ich nicht ganz hin. Kannst du das näher ausführen/belegen?


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Hermeneutiker
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2. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 14.02.2009 um 15:00 Uhr

Danke für die freundliche Begrüßung und auch meinerseits Hallo miteinander.

In der Szene "Der Hof des Professors" (nach Dedner Handschrift 3.1, nach Poschmann H4.1) beginnt der Professor seine Vorlesung am Dachfenster. Woyzeck und die Studenten stehen unten. Nun wirft der Professor gegen Ende einiger grotesker pseudophilosophischer Ausführungen eine Katze herunter. Woyzeck hat sie aufzufangen. Sie beißt ihn. Darauf zieht der Professor Woyzeck mit seiner Großmutter auf, am Ende gar mit der Mutter. Sie habe ihm aus Zärtlichkeit die (ausgegangenen) Haare ausgerissen. Zwar wird das gleich drauf durch das Erbsenessen wieder relativiert, die Anspielung muss im Kontext der Bildkette Vieh/Mensch ("Bestie", so wird auch die weibliche Figur tituliert) als Nackenbiss beim Geschlechtsakt gelesen werden. Woyzeck wird also - modern ausgedrückt - als "Motherfucker" beschimpft. Wenn das ein Ausrutscher wäre, geschenkt. Diese Motivkette erweist sich jedoch im Drama konsistent und kohärent. ("Stich die Woyzecke tot" heißt es noch in Handschrift 1)

Wenn die Literaturwisenschaft nun bei dem Drama feststellt, dass Woyzeck schon zu Beginn so weit unten ist, dass es nicht tiefer geht, also die klassisch-aristotelische Fallhöhe des Helden nicht mehr möglich ist, dann spricht besagte Szene dagegen. Büchner verbildlicht quasi die verdeckte Ebene, bringt sie szenisch zur Geltung darauf läuft das Konzept der Hofszene hinaus. Was fällt, ist die Katze = Marie (Bestie) = Mutter. Damit fällt auch Woyzeck. Und zwar tief - und jetzt geht es tatsächlich nicht mehr tiefer. Eben wegen dieser Technik der bühnenmäßigen Umsetzung dessen, was zwischen den Zeilen steht, bleibt Büchners komplexe Rhetorik nicht abstrakt. Man mache die Probe: Es wird sich keine Passage finden, auf die sich die gängigen Lesarten beziehen, die nicht durch sinnliche Peinlichkeiten kontaminiert wäre.

Die Literaturwissenschaft begeht den Kunstfehler, den Dramenentwurf nicht auf den ästhetischen Diskurs (Ödipus, Hamlet, usw.) zu beziehen, sondern auf historisches Material (Gerichtsgutachten), die Büchner allenfalls als Collagematerial und Kulisse ansah.

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LX.C
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3. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 15.02.2009 um 00:54 Uhr

Diese Nachricht wurde von LX.C um 00:56:54 am 15.02.2009 editiert

Wenn die Literaturwissenschaft davon spricht, dass Woyzeck keine Fallhöhe besitzt, dann bedeutet das doch nichts anderes, als dass er die Anforderung der Ständeklausel, die seit der Antike vorherrscht, nicht bedient und als Hauptprotagonist von niederem sozialen Rang, vereinfacht gesagt, nicht tiefer fallen kann, weil er schon ganz unten ist. Je höher der Rang, desto bestürzender der tragische Fall, so die Theorie. Da kann man noch so viele "Hofszenen" inszenieren, fallende Katzen oder sinnliche Peinlichkeiten, theaterhistorisch bleibt die Tatsache der fehlenden Fallhöhe des Woyzeck gegeben.


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LX.C
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4. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 15.02.2009 um 01:05 Uhr

Und man muss sich vielleicht noch vor Augen halten, das ist ja auch gar nichts abschätziges, zumindest aus heutiger Sicht, sonder etwas Bahnbrechendes. Von daher muss man ihm doch gar keine Fallhöhe andichten.


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Hermeneutiker
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5. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 15.02.2009 um 07:53 Uhr

Diese Nachricht wurde von Hermeneutiker um 08:43:28 am 15.02.2009 editiert

Was hießt hier "Fallhöhe andichten"? Warum steht die Figur Professor am Dachfenster, doziert und wirft eine Katze herunter? Hier fällt etwas, und zwar ganz bühnenrealistisch. Was fällt, ist die Katze, die seitens des Werfers wiederum mit Woyzecks weiblicher Verwandtschaft assoziiert wird. Es geht mir weniger um den alten Aristoteles und seine Dramentheorie, sondern darum, das was Büchner inszeniert, zu verstehen. Und er inszeniert eben das Fallen der Katze. In diesem Fall interessiert in erster Linie Büchners Rangordnung, die sich bis zum Tier herunter erstreckt. Deswegen die Budenszenen. Davon abgesehen würde ich es vorziehen, weniger über Theaterhistorie zu diskutieren, als vielmehr über die Rätsel der Woyzeck-Entwürfe. Das Büchner die klassische Ständeklausel auf den Kopf stellt ist unstrittig, aber meiner Meinung nach nicht das wirklich Spektakuläre.

Wie liest du die Szene? Warum fällt die Katze? Und nicht vergessen: Woyzeck begeht einen Ritualmord (R. Grimm). Das braucht einen Grund, der in diesem Fall (der Ritualisierung) nicht in dem Umfeld liegen kann, also mit dem Opfer selbst zusammenhängen muss.

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LX.C
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6. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 09.03.2009 um 23:41 Uhr

Tut mir leid, aber ich kann einfach diese ganzen unterschwelligen sexuellen Andeutungen darin nicht finden, dazu bin ich auch nicht Querdenker genug. Du wirst von deiner Theorie natürlich nicht abrücken wollen, sollst du auch gar nicht. Dennoch möchte ich kurz, wo ich nun Zeit finde, meine Sicht äußern.
Die fallende Katze und dass Woyzeck es ist, der sie auffängt und der Professor, der sie von oben herab wirft, ist allgemein wieder auf die gesellschaftliche Strukturierung zurückzuführen und im speziellen ein weiteres Indiz dafür, dass ein Woyzeck, dem auch noch der Verstand abgesprochen, dem Tiere näher zugeordnet wird als dem Menschen. Die Zuspielung der Katze soll die abwertende Haltung der über den Dingen stehenden, Natur beherrschenden, sich als überlegene Instanz verstehenden Wissenschaft (Professor, Doktor) zu Woyzeck symbolisch unterstreichen, der mit dem Fangen des Tieres auf eine Ebene mit diesem gestellt wird (Woyzeck ist ständigen Gegenüberstellungen von oben und unten ausgesetzt, z.B. die Freimaurer, die er aus der Erde sprechen hören will).
Die Verbindung Großmutter, Katze, Mutter, Esel, Woyzeck unterstreicht diese Ebene. Derart Dichotomien Mensch vs. Tier finden sich mehrere im Woyzeck, z.B. die "viehische Vernünftigkeit" eines Pferdes gegen das "viehdumme Individuum", niederer kann ein Individuum nicht verortet werden.
Das alles ist im Einklang mit der von der Literaturwissenschaft zu recht deklarierten fehlenden Fallhöhe. Wenn du die klassisch Fallhöhe nicht meinst, dann solltest du sie auch nicht anführen, weil sonst ist doch klar, dass du mit Widerspruch rechnen musst oder zumindest auf Nachfrage stößt.


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Hermeneutiker
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7. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 10.03.2009 um 14:47 Uhr

Nun, so unterschwellig ist der Status der Sexualität im "Woyzeck" gar nicht, es sind übrigens auch nicht nur "Andeutungen". Lassen wir gleich die Hauptfigur selbst zu Wort kommen: "Warum bläst Gott nicht die Sonne aus, dass alles in Unzucht sich übereinanderwälzt, Mann und Weib, Mensch und Vieh".
Du hast ganz recht mit den weiteren Beispielen von Mensch und Tier, allerdings sind es eben keine "Dichotomien", das gerade beweist mein Zitat, sondern Vermischungen und zwar explizit auch sexuelle.
Um die soziale Differenz zu unterstreichen, hätte Büchner nicht eigens eine neue (vergleichsweise umfangreiche) Szene schreiben müssen, die sich zudem nur schwer in den Ablauf einfügt, so dass die Bearbeitungen sie meist weglassen.
Dass du einen Woyzeck ohne Verstand von vorneherein auf die Ebene des Viehs platzierst widerspricht nicht nur der Anlage des Dramenfragments wie auch der gängigen Rezeption. Wo bliebe das Mitgefühl? Warum nehmen wir Woyzeck als "armes Schwein" war? Auch ist er nicht so ohne Verstand wie es vielleicht auf den ersten Blick scheint, immerhin kennt er sich in der Bibel und sogar in Goethes Faust aus, ja der Kenner muss sogar stutzen, weil Woyzeck offenbar auch den "Hamlet" kennt.
Woyzecks berühmte Äußerung "Jeder Mensch ist ein Abgrund, es schwindelt einem, wenn man hinabsieht!" führt zum Ausgangspunkt unserer Debatte zurück. Mit dem "Abgrund" hätten wir nämlich die potentielle Fallhöhe (bzw. -tiefe) aus seinem eigenen Mund. Wohlgemerkt, es heißt: "jeder Mensch". Und worauf bezieht sich die Bemerkung? Auf Louisels (H2, hier heißt die weibliche Figur nicht mehr Margreth (vgl. Faust) und noch nicht Marie) Replik, dass sie im Alter von 10 Jahren ihren zudringlichen Vater durch Ansehen zu bremsen vermochte. Was in der Tat eine sexuelle Anspielung ist, aber kaum noch unterschwellig - und zwar in Bezug auf den Inzest. Woyzeck heißt auf dieser Entwurfsstufe noch Franz, er setzt in H2 einen kleinen Hund, der nicht auf einen großen hinaufkommt, auf denselben. Thema Mensch und Vieh und Kopulation, Woyzeck betont, dass dabei Buben und Mädel herumstanden.
Besagte Hofszene wurde von Büchner entworfen, um dieses "jeder Mensch ist ein Abgrund" zu inszenieren. Der oben stehende Professor inbegriffen, er hält vergeblich öffentlich nach nackten Mädchen Ausschau. Heute sprechen wir diesbezüglich von Kinderpornografie, so weit muss man tatsächlich gehen, wenn man Büchner nicht verklemmt interpretieren will. Der Hauptmann ist, das wäre der Vollständigkeit halber zu ergänzen, mit von der Partie. Er erzählt Woyzeck, dass er am Fenster steht und onaniert ("da kommt mir die Liebe"), wenn er bestrumpfte Mädchenbeine sieht. Es ist wirklich ein Skandal unserer Büchnerforschung, darüber den wissenschaftlichen Mantel des Schweigens auszubreiten. In Großbritannien ist man da weiter. Vgl. John Reddick: "The shattered Whole".
Wenn in der Hofszene der Doktor also Woyzeck am Ende dahingehend beschimpft, dass ihm seine Mutter aus Zärtlichkeit die Haare ausgerissen hätte, dann bleibt hier kein anderer Ausweg, als den Nackenbiss der Katzen und Hasen (Leonce und Lena!) beim Geschlechtsakt einzusetzen.
Und an wen denkt Woyzeck laut, als er sein Testament macht und unmittelbar bevor er zur Hinrichtung seiner Geliebten schreitet? An seine Mutter. Nicht mitfühlend wie manch ein etablierter Büchnerforscher meint (Gerhard P. Knapp) sondern aggressiv. Sie hat "heiße Händ". Wie Marie. Heiß im Sinne von Unzucht, s.o...

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Hermeneutiker
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8. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 17.03.2009 um 07:03 Uhr

Ich will noch etwas ergänzen:
Als ich 2006 meine Ergebnisse der Forschungsstelle Georg Büchner an der Marburger Universität auf ihrer Jahrestagung präsentierte (der Teil über Dantons Tod ist im aktuellen Georg Büchner Jahrbuch 2005-2008 nachzulesen) wurde die Frage gestellt, ob ich davon ausgehe, dass die Inzestthematik im Woyzeck einen biographischen Bezug hat. Ja sicher gehe ich davon aus, ob aber hinsichtlich der Familie Büchner selbst, oder ob die entsprechende Anregung aus seiner Umgebung erfolgte (die Hofszene H3.1 enthält biographisches Material eines seiner Professoren an der Gießener Universität) ist selbstverständlich nicht mehr zu klären.

Aber ein Vergleich des Dramenfragments mit einem anderen Text erlaubt eine sehr merkwürdige Feststellung. Georg Büchners Schwester Luise hat in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts einen Roman begonnen, aber nicht fertiggestellt, der die Jugendgeschichte Georg Büchner behandelt, und das von dem Bruder Ludwig Büchner mit dem Titel "Ein Dichter" versehen wurde. Besagte merkwürdige Feststellung betrifft die fiktiven Namen, die Luise den Büchners gegeben hat. Bei den meisten Namen in dem Romanfragment ist die Beziehung zu den realen Personen erkennbar, andere scheinen wiederum ausgesprochen metaphorisch.

Der Wohnort Darmstadt wird mit "eine kleine Residenzsstadt in Süddeutschland" umschrieben. Der Beruf des Vaters (Arzt) beibt erhalten. Die Mutter Caroline wird zu Luise, dem Namen der Autorin, Georg zu Ludwig, wie der ältere Bruder in Wirklichkeit heißt. Luises eigener fiktiver Name wird zu Gustchen, Georgs Schulfreund Minnigerode bekommt den Namen Wangerode, der fiktive Professor Landmann heißt in Wirklichkeit Baur. Man nimmt an, dass sich hinter der Hautfigur Charlotte Klein Luises Freundin Amalie Klönne verbirgt, deren fiktiver Bräutigam Hohenstein ist ein talentloser Dichter, wie das Oxymoron auch metaphorisch ausmalt.

Jetzt aber zu dem eigentlichen Clou: dem fiktiven Familiennamen der Büchners. Vorauszuschicken ist noch die Beachtung der im Woyzeck des Öfteren wiederkehrende, oxymoronähnliche Gegensatzpaarung heiß/kalt. So sagt Woyzeck zu Margreth vor der Ermordung: "Frierts´ dich Margreth, und doch bist du warm. Was du heiße Lippen hast ... und wenn man kalt ist, so friert man nicht mehr." Die Kombination heiß/kalt wiederholt sich wie gesagt öfters, inmitten zahlreicher anderer Gegesatzpaarungen, unter anderen auch die ganz krasse und dick unterstrichene Süd-Nord. Welche Bedeutung diese "Codes" in einem durch und durch codierten, mehrfach verschlüsselten Werk haben, habe ich versucht nachzuweisen.

Welchen Namen wählt nun Georg Büchners Schwester Luise als fiktiven Familiennamen für die eigene Familie? Sie kennt weder das Woyzeck-Fragment noch dessen Codierung usw. Trotzdem verwendet sie das gleiche Muster wie ihr Bruder. Aus den Büchners wird die Familie Brandeis. Brand = heiß; eis = kalt. Heißkalt. Brandeis.

Und noch eine kleine, seitens der Büchnerforschung bislang meines Wissens nach nicht registrierte Kuriosität. In dem Revolutionsdrama Dantons Tod tragen die Figuren ihre authentischen französischen Namen. Ausnahme: die Hauptfigur Danton. Aus dem originalen Georges macht der Autor den Georg, sprich er gibt ihm seinen eigenen Vornamen. Der historische Georges Danton heißt im Drama Georg Danton. Die Büchnerforscher korrigieren das meist unbewusst und machen daraus wieder einen Georges.

So viel zu den biographischen Bezügen.

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derami
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1 Forenbeitrag
seit dem 17.05.2009

     
9. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 17.05.2009 um 04:56 Uhr

Diese Nachricht wurde von Netzmeister um 17:44:01 am 03.06.2009 editiert

Hallo,

wollte noch meinen Senf dazu geben:

Also wir lesen das Buch gerade in der Schule und ich hab angefangen das Buch zu lesen und konnte dann nicht mehr stoppen, ist echt ein klasse Buch!
Hab mir im net ein bisschen Hilfe geholt, hier mal ne gute Seite zur Hilfe:

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