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Hubert Fichte - Der Aufbruch nach Turku
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Fichte, Hubert:
Der Aufbruch nach Turku

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(Bücher frei Haus)

Mit achtundzwanzig – 1963 – brachte Hubert Fichte sein erstes Buch heraus, den Band „Der Aufbruch nach Turku und andere Erzählungen“. 1985 – ein Jahr vor seinem Tod – gab es eine um drei weitere frühe Erzählungen ergänzte Neuausgabe, die diesen Zeilen hier zugrunde liegt. Sie weist nun siebzehn Einzeltexte auf, die man in drei aufeinander folgende Gruppen einteilen kann.

Die ersten sechs Texte verarbeiten Stoffe aus Südfrankreich, mit Ausnahme von „Inselbegräbnis“, das Impressionen von einer deutschen Nordseeinsel enthält. Diese "französischen" Texte präsentieren zumeist ländliche Käuze und Abläufe, die irgendetwas Erschröckliches oder auf andere Weise Schräges bieten. Die Handlungen spielen immer auf dem Land. Eine ausgeprägte Vorliebe für Milieuschilderung macht sich geltend. So werden dem Leser Steinbrucharbeiter und ihre Umgangs- und Ausdrucksformen recht plastisch vor Augen gestellt. Dann gibt es die junge Frau, die nur mit und für Schlangen lebt. Ob man mit diesen Texten viel anfangen kann, hängt stark vom persönlichen Geschmack an solchen Stoffen ab. Die spezielle Begabung des Autors Fichte - sein scharfer Blick fürs Detail, sein genaues Gehör für die Sprechweise seiner Figuren – zeigt sich hier bereits.

Die folgenden sechs Erzählungen sind in Norddeutschland angesiedelt, zumeist in Hamburg, entweder im 2. Weltkrieg oder in der Nachkriegszeit. Hier gibt es keine Sonderlinge, sondern überwiegend Figuren mehr oder weniger aus der Mitte der Gesellschaft, die aufgrund der unruhigen Zeiten verstörende Erlebnisse haben, darunter Fichtes Alter Ego „Detlev“. Mag sein, dass der heutige Durchschnittsleser von diesen Texten bedeutend mehr angesprochen wird als von denen der ersten Gruppe.

Einer von ihnen – „Der dreiundzwanzigste Juli“ – könnte mit guten Gründen ein Text für die Schullesebücher sein. Gemeint ist der Juli 1943 mit den verheerenden Bombardements auf die Hansestadt. Bei diesen Luftangriffen handelte es sich um den ersten und weitgehend erfolgreichen Versuch, eine Millionenstadt mit Spreng- und Brandbomben auszuradieren. Detlev ist, wie Fichte selbst, zu der Zeit acht, lebt mit der Mutter bei den Großeltern in einem Vorort. Nach einer ersten Welle steht das Einfamilienhaus noch, ist aber wie der Garten stark ramponiert. Die Villa gegenüber ist schon Ruine, unter der die Hausfrau noch liegt. Zootiere galoppieren durch die Straßen und ausgebombte Verwandte treffen ein. Detlevs Familie will Hamburg verlassen und sich in Schlesien aufs Land flüchten. Nach einem stundenlangen Marsch durch die zerstörte, noch brennende Stadt erreichen sie einen Bahnhof. Die Erzählung endet mit der Abfahrt des Zuges und einem Detlev, der sich darin jungen Soldaten anschließt, um mit ihnen zu singen. All das ist ausschließlich aus der Perspektive eines Achtjährigen erzählt und geschrieben in einer Prosa, so glatt wie polierte Kieselsteine.

Die letzte Gruppe bilden die "schwedischen" Texte. Fichte war als junger Mann eine Zeitlang Hilfswärter in einem Heim für psychisch erkrankte Jugendliche nahe Stockholm. In vier der fünf Texte porträtiert er ebenso scharf wie verständnisvoll je einen der Insassen dort. Abschließend erleben wir in der Titelgeschichte eine Mittsommernacht, die „Axel“ (Fichte) mit der Suche nach zwei Ausbrechern verbringt.

„Lef“ dürfte innerhalb dieser Gruppe der literarisch gelungenste Text sein. Hier kümmert sich der Erzähler um einen Jungen sozial schwacher Herkunft, er ist vital und doch schon deformiert. Lef und Axel lesen sich, um das Schwedisch des Deutschen zu verbessern, gegenseitig „Nils Holgerssons wundersame Reise“ vor. Der Junge hat keine gute Prognose, muss die Stadt wechseln, bevor sie mit dem Buch fertig sind. Später trifft ihn Axel zufällig noch einmal und macht sich klar, wie unzusammenhängend seine Eindrücke von dem jetzt Betrunkenen sind. Das ist ganz bewusst und ebenso schlicht wie souverän der Kern: das rettungslos Fragmentarische, einfach Zerfließende eines Stoffes, der sich zur Erzählung nicht mehr runden will, die Parallelität von abgebrochener Lektüre und abgebrochener Beziehung, der andere als ein Text, den man zu etwas Brauchbarem letztlich nicht mehr zusammensetzen kann.

Fazit: Fichtes erstes Buch enthält nichts Missglücktes, einiges Mittelmäßige, viel gut Lesbares und mindestens zwei Texte, die einen stark berühren können.

[*] Diese Rezension schrieb: Arno Abendschön (2012-01-26)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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