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Die Toten auf dem Berge
Georg Heym
Wir wurden auf den kahlen Berg geführt.
Wir sahen in den Lüften die Gerippe,
Die Hände auf dem Rücken festgeschnürt.
Im Winde sprang und tanzte ihre Sippe.

Wir stiegen auf den Leitern in den Kreis,
Sie grüßten uns mit einem leichten Gruße.
Die Haare klebten uns vom kalten Schweiß,
Da stieß uns fort der Henker mit dem Fuße.

Wir stürzten in das Nichts. Und da zerbrach
Mit einem Ruck der Knochen im Genicke,
Versanken wir in Träume allgemach,
Zu langem Schlafe hingen wir am Stricke.

Wir schliefen manches Jahr auf hoher Wacht.
Die Trauer schmolz uns aus im Luftgemache.
Wir wachten auf in einer Regennacht,
Da grüßten wir uns mit der Totensprache.

Wir waren kahl geworden, Jahr auf Jahr.
Kaum sproßte noch das Haar in weißen Strähnen.
Die Kiefer hingen schon, des Fleisches bar,
Wie alten Greisen, die den Tag vergähnen.

Doch jung ward in den Stürmen unser Hirn.
Wir tanzten an dem Strick mit lautem Tanz.
Statt Blumen trugen wir auf unsrer Stirn
Des Galgens Pech in einem schwarzen Kranz.

Wir wurden langsam braun von Zeit und Rost.
Der Hemdenstrick war unser Ordensband.
Wir hielten still, wenn nachts der Winterfrost
Den weißen Turban um das Haupt uns wand.

Wir sahn im März des Erdgotts Häupter steigen
Mit braunen Locken an des Landes Decke.
Den Frühlingssturm und warmer Winde Reigen.
Am Galgen schoß das Kraut im kahlen Flecke.

Wir sahn die Hügel voll mit kleinen Pflügen,
Des Landes weiten Sommer zu umfahren.
Wir tranken seinen Duft mit vollen Zügen,
Wenn er im Felde schlief mit gelben Haaren.

Wir säten Mißwachs aus. Schwarz stand das Korn,
Die Sommernächte wurden feucht und kalt.
Die Nesseln schossen wie ein Kiefernwald.
Aus nassen Äckern wand sich Dorn um Dorn.

Wir sahn die Dörfer leer von unsrem Berge.
Die schwarzen Kasten schwankten uns vorbei.
Der Erde offnes Maul ergriff die Särge,
Zermalmte in den Kiefern sie zu Brei.

Wir sahn die Pest am Rand der Wälder stehen,
Die Kutte saß ihr voll auf prallen Weichen.
Wir sahen nachts den Tod im Lande gehen,
Die Länder mähend mit den Riesenstreichen.

Wie tanzten wir in kühler Julinacht,
Da Sarg auf Sarg zur offnen Kelter fuhr.
Der gelbe Mond ging auf im Regen sacht,
Und warf der Tänzer Schatten durch die Flur.

So war es einst. Jetzt bin ich alt und grau,
Verwittert von den Stürmen und der Zeit.
Der Brüder Schädel wäscht der Morgentau
Im Unkraut weiß, wo sie der Wind verstreut.

Schon sind die Stricke alle leer und faul.
Wann wächst am Galgenbaum noch solche Frucht?
Der Regen sickert durch das offne Maul
Der weißen Schädel in der grünen Schlucht.

Wie einsam ist es nun im Frührotschein.
In Winterkälte frier ich wie ein Kind.
Der Juli glüht mir heiß im Schläfenbein.
O rissen doch die Stricke in dem Wind.

Wie geht die Zeit. Wie bleich sind Nacht und Tag.
Des Herbstes Leid wohnt mir in weißen Brauen,
Und immer hör ich Schrei und Flügelschlag
Der Dohlen, die im Haar mir Nester bauen.



versalia.de empfiehlt folgendes Buch:
Heym, Georg - Gedichte.



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> Neue Gedichte: fahnenrost
> Kunstportal xarto.com
> New Eastern Europe
> Free Tibet
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