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Literaturforum: Rassismus im Werk von Thomas Wolfe


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Forum > Literaturgeschichte & -theorie > Rassismus im Werk von Thomas Wolfe
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 Thema: Rassismus im Werk von Thomas Wolfe
ArnoAbendschoen
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Eröffnungsbeitrag Abgeschickt am: 20.01.2014 um 22:24 Uhr

In Wolfes erstem Roman „Schau heimwärts, Engel!“ kommen Schwarze häufig vor. Aber wie treten sie auf? Es erinnert ein wenig an Richard Wagners „Rheingold“, genauer an Nibelheim, wo die Nibelungen unter Alberichs Knute in feucht-warmer, schmuddlig-schwefliger Tiefe schuften. Bei Wolfe ist Eugene Gant ein moderner Loge, der in die unerfreulichen Gründe vordringt, indirekt auch um des Goldes willen, denn als flinker Zeitungsjunge will er dort Kohle machen. Die soziale Situation der schwarzen Bevölkerung ist für den Helden kein wichtiges Thema, umso ausführlicher beschäftigt er sich immer wieder mit dem sinnlich Wahrnehmbaren in den Ghettos. „ May Corpening … reckte ihre kupferfarbenen Beine in der fötiden Bettwärme …“ ist nur eine von vielen ähnlichen Stellen. In summa: Da unten stinkt es und die Geräusche hören sich nach Urwald an. Die Viertel der Schwarzen gehören untrennbar zum Bild dieses aufstrebenden Altamont, aber die Schwarzen selbst sind nicht Teil der amerikanischen Zivilisation. Der junge Wolfe ist noch ganz der herrschenden weißen Südstaatenmentalität verhaftet, Apartheid ist etwas Selbstverständliches. Später wird er seiner Mutter in einem Brief zwar vorhalten, die „Southerners“ verweigerten den Schwarzen das Wahlrecht, doch er schreibt ihr auch mit Befriedigung über eines seiner Stücke: „ … ich schonte Boston mit seinen Sentimentalitäten für die Neger nicht mehr als den Süden …“

Nach dem Studium will er Lehrer an einem New Yorker College werden. Es wird vor allem von den Söhnen und Töchtern armer Leute von der Eastside besucht. Wolfe schreibt dazu seiner früheren Lehrerin Margaret Roberts in einem Brief vom 10.2.1924: „Außerdem stammen die Studenten – hauptsächlich Juden und Italiener – aus dem Osten New Yorks und müssen ihre Ausbildung zum Teil mit erheblichen Opfern bezahlen. Also keineswegs der übliche Studententyp. Ich hoffe, mit ihnen in Fühlung zu kommen und in diesen sieben Monaten Material zu sammeln, das für mich von unschätzbarem Wert sein kann.“ Seine wahre Einstellung verrät indessen eine Stelle in seinem Brief an die Mutter vom 31.8.1923: „Gleichwohl lassen wir jährlich Hunderttausende von minderwertigen Menschen lateinischer Rassen, körperlich unentwickelt, geistig verkümmert, ins Land. Von ihnen werden die Amerikaner von morgen abstammen … Es ist unmöglich, sie anzusehen, ohne dass einem der Mut sinkt. Wie kann hieraus Gutes kommen? Ich bin kein Pessimist, aber warum den Tatsachen aus dem Weg gehen! Wir wimmeln wie wahre Ameisen …“

Das Material, das Wolfe am College gesammelt hat, breitet er in seinem zweiten Roman „Von Zeit und Strom“, 1935 erschienen, dann aus. Das ist vielleicht das Erschreckendste in seinem umfangreichen Werk. Eugene Gant als Dozent ist von tiefer Abneigung gegen seine Schüler erfüllt, eine Antipathie, die vor allem körperlich und beinahe instinktiv ist. Das Zitieren fällt nicht leicht. Eugenes Hölle sieht so aus: „ … die gellenden, hässlichen Korridore der Universität, wo man mit Leib und Seele ertrank in den schwärmenden, schweifenden, keifenden Fluten bernsteindunklen Judenfleischs, von dort in das Klassenzimmer, das mit den Korridoren verglichen ein Sanktuarium war, weil sich in ihm nur eine kleinere Horde aufhielt, dreißig oder vierzig lachende, schreiende, kreischende Juden und Jüdinnen im dicken Dunst ihrer heißen, schwärzlichen Körpergerüche, ihrem starken Weibergeruch von Brunst, Schoß, Achselhöhle und billigem Parfüm, ihrem harten Männergeruch, der ranzig, schal und sauer war …“ Als der Unterricht selbst dargestellt wird, findet sich ausführlich das antisemitische Stereotyp der „Judenschule“: lautes, unwissendes, bildungsfeindliches Durcheinanderschwatzen.

Fünfzig Seiten weiter kommt es noch dicker. Nach der Unterrichtsstunde fühlt Eugen sich völlig ausgelaugt und hat eine Vision. Darin identifiziert er sich mit einem von ihm im Bostoner Hafen gefangenen Fisch, der von einem „Tiefseeschmarotzer“ befallen war. Das „Scheusal“ saugt dem Fisch das Hirn aus und führt einen grässlichen Todeskampf herbei, von Wolfe kunstvoll und sehr abstoßend beschrieben. Dann synchronisiert er das Monster mit den realen, körperlich anwesenden Schülern: „Ihr dunkles Fleisch war wie eine Prallwoge, die nicht nur niederschmettert und hereinbricht, sondern auch beim Zurückrollen mit mächtiger Saugkraft die Schätze der Erde mit fortzieht. Diese Menschen hatten die Absorptionsfähigkeit des Schwamms …“ Das ist nichts anderes als die stark literarisierte Version des antisemitischen Bildes vom Juden als Schmarotzer und Blutsauger!

Man wende nicht ein, das Erleben des Romanhelden dürfe nicht mit dem des Autors verwechselt oder gleichgesetzt werden. Eugene Gants Geschichte ist die von Thomas Wolfe. Nur wenige autobiographische Romanhelden sind ihrem Verfasser derart nah. Hier sind es siamesische Zwillinge. Wolfe hat es schon dadurch bezeugt, dass er Eugene sein eigenes Geburtsdatum gegeben hat.

Wolfe hat nicht naiv geschrieben, er war sich der zu erwartenden Einwände bewusst. Er wollte ihnen vorbeugen, sie abschwächen. So findet sich unmittelbar nach der Schilderung der „Judenschule“ die gelungen boshafte der Belegschaft des Hotels „Leopold“. Hier residiert auch eine Mrs. Buckles, die nicht mehr nach St. Petersburg, Florida will: „Ich will Ihnen sagen, was es ist. Die Juden sind es. Sie drängen sich überall herein … Als ich vergangenen Winter dort runterkam, war der ganze Ort von Juden überlaufen. Sie hatten den Ort ruiniert …“ Nun ist diese Mrs. Buckles eine durchaus unsympathisch gezeichnete Gestalt, und damit erfüllt sie eine doppelte Mission: Sie nimmt Eugens antisemitisches Ressentiment auf, wie ein Echo, und lenkt zugleich die Spitze möglicher Anklage vom Autor weg.

Auch die Figur des jüdischen Schülers Abe Jones, mit dem Eugene sich anfreundet, hat eine ähnlich entlastende Funktion. Wolfe kann damit nachweisen, dass er kein Antisemit ist, und zugleich Abe im Detail mit zahlreichen angeblich typisch jüdischen Eigenheiten ausstatten, z.B. einem Wolfe selbst durchaus verhassten Intellektualismus. Abe muss sogar zum Beweis dafür herhalten, wie übel Eugene im Moloch New York dran ist: ausgerechnet ein Jude wird „in all der Verlassenheit der millionenfüßigen Metropole … Eugenes treuer Freund.“ Abes Familie weist im Verlauf der Erzählung auch positive Züge auf. Soll das heißen, dass der Judenhasser Eugene zu klügerer Einsicht gekommen ist? Das Wenige in dieser Art kann nicht einmal ein Gleichgewicht herstellen. Mag sein, dass es nur aus Rücksicht auf die öffentliche Wirkung hinzugefügt wurde. Als das Buch 1935 erschien, hatte die Judenverfolgung in Nazideutschland bereits begonnen, viele Emigranten waren schon in den USA. Andererseits war jenes Deutschland Wolfes wichtigster ausländischer Buchabsatzmarkt. Er war zeitweise in Deutschland mehr anerkannt als in Amerika. Die Fassung des Romans, schwankend zwischen offenem Antisemitismus und der Darstellung einzelner „guter“ Juden, spricht für einen bewussten Spagat. Interessant ist hierzu auch ein Hinweis des Wolfe-Biographen David Herbert Donald. Danach hat Wolfe Teile des entstehenden Romanmanuskripts dem Urbild von Abe Jones zur Maschinenabschrift überlassen, die antisemitischen Passagen jedoch vorher aussortiert.

Diskreter als der Antisemitismus äußert sich die Abneigung gegen die lateinischen Völker. Gleichwohl finden sich in „Von Zeit und Strom“ zahlreiche Belege dafür. Sobald Eugene französischen Boden betritt, taucht der Begriff Rasse häufig auf, fast immer im negativen Kontext. Es sind die „fremden, dunklen Franzosengesichter“, die ihn wiederholt schaudern lassen. „Dunkel“ ist jetzt wieder ein oft verwendetes Adjektiv, zumal im Zusammenhang mit Haut und Antlitz von Menschen. Man ahnt das Sehnsuchtsbild dahinter, es ist der nordische Typ. (Tatsächlich hat sich Wolfe nur wenig im mediterranen Frankreich aufgehalten, ausgesprochen brünette Typen dürften bei seinen Begegnungen in der Minderheit gewesen sein.) Das Vorurteil erstreckt sich auch aufs Kulturelle: „Langeweile ist die Bettgenossin der lateinischen Völker … Die neo-lateinischen Völker sind düster und leidenschaftlich …“ Aber auch, dazu etwas im Widerspruch: „ … diese schauderhafte, nervöse Kleinlichkeit der Franzosen …“ Und wenn ihm in der Provinz ein Franzose mal imponiert, umgibt er ihn, wie zur Kompensation, gleich mit einer Blut-und-Boden-Gloriole: „ … das glänzende und unzerstörbare Gewebe der französischen Art und der französischen Seinskraft … von seinen Ursprüngen an in den üppigen, blutvollen Energien … das ganze Lebensgewebe aus Erde und Blut …“

Wir erleben zzt. eine kleine Wolfe-Renaissance, angeschoben von Verlagen und Übersetzern. Es soll auch einen Kinofilm über ihn geben. In den Rezensionen wird regelmäßig darauf hingewiesen, wie Wolfe sich nach seinem letzten Deutschlandbesuch vom Naziregime distanziert habe. Man hört geradezu das erleichterte Autatmen: Da hat einer noch mal die Kurve gekriegt. Denn er war doch unser … Wirklich? Richtig ist, dass Wolfe Sympathien für F.D. Roosevelt und den New Deal gehabt hat. Und dass ihn die Praxis der Diktatur in Deutschland abgestoßen hat. Er hat gegen Ende seines weiteren Romans „Es führt kein Weg zurück“ eindrucksvoll dargestellt, wie ein Jude auf der Flucht von deutschen Polizisten aus dem Zug geholt wird. Aber reicht das, um über all das andere hinwegsehen zu dürfen? Man präsentiert uns jetzt, in der heutigen Weltfinanzkrise, Wolfe gern als einen Autor, der ab 1930 die Auswüchse des Kapitalismus angeprangert hat – gut und schön. Aber Wolfes Werk war in Teilen auch irrational, rassistisch und antisemitisch. Das muss im Blickfeld bleiben.

(Zitate nach den Übersetzungen von Hans Schiebelhuth, Ina Seidel und Susanna Rademacher)

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ArnoAbendschoen
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1. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 12.06.2015 um 23:54 Uhr

Inzwischen gibt es eine neue deutsche Übersetzung von Wolfes zweitem Roman, der nun hierzulande "Von Zeit und Fluss" heißt. Ist es schon entmutigend, wie das deutschsprachige Feuilleton von heute über die mangelnde literarische Qualität des Riesenschinkens hinwegsieht und -schreibt, so ist man erst recht entsetzt, wie Wolfes krasser Rassismus entweder ignoriert oder beschönigt wird. Weder in der ZEIT noch bei Deutschlandradio Kultur kommt das peinliche Thema überhaupt vor. Was aber die Schweizer NZZ dazu am 9.1.15 an Geschwurbel absondert, verdient, hier zitiert zu werden:

"Ein kurzes Kapitel über den Konflikt des Protagonisten mit einem jüdischen Studenten gehört zu einer Reihe von Passagen, in denen Wolfe eine Gratwanderung riskiert zwischen grotesker literarischer Zuspitzung einer existenziellen Erfahrung und der archetypisierenden Überhöhung diskriminierender Stereotype."

Die "existenzielle Erfahrung" Wolfes bestand darin, dass er sein Brot an einer New Yorker Hochschule verdiente, deren Schüler ihm aus rassistischen Motiven tief unsympathisch waren. Und dass er bei der "Gratwanderung" schlichtweg abgestürzt ist, zeigen die in meinerm Aufsatz zitierten Stellen zur Genüge. Archetypisierende Überhöhung diskriminierender Stereotype? Ja, genau wie z.B. in "Jud Süß"! Oder warum nicht gleich "Mein Kampf" intellektuell verniedlichen?

Eine deutschsprachige Literaturkritik, die die in den USA selbst seit langem rege Diskussion des Themas einfach ignoriert, disqualifiziert sich selbst.

Arno Abendschön

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