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FREIHEIT... oder die Flucht aus unserer Gesellschaft
Autor: BlueWings · Rubrik:
Philosophie

Glückwunsch denen, die nicht die geistigen, seelischen oder körperlichen Fähigkeiten besitzen, um das brennende Verlangen entwickeln zu können, nach dem Sinn (des Lebens) zu suchen; und denen, die ihn gefunden haben.


FREIHEIT... oder die Flucht aus unserer Gesellschaft
G.L.

Jetzt stand er hier am Rand der Klippen. Seine Zehen ragten schon ein kleines Stück über den unendlich tief wirkenden Abgrund. Eigentlich hätte er völlig außer Atem sein müssen und am Ende seiner Kräfte. Doch jetzt, da er hier stand, am scheinbaren Ende seines Weges, spürte er von all den Schmerzen nichts mehr. Der Blick in die Ferne beanspruchte all seine Sinne. Die Sonne begann sich gerade zu verabschieden und hing schon mit ihren majestätischen Farben, einer Mischung aus rot und dunklem gelb, so tief am Horizont, dass es den Eindruck machte, sie würde jeden Augenblick in das türkisblaue Meer versinken, um dort auf ewig zu verschwinden. Noch nie hatte er so einen wundervollen Sonnenuntergang erlebt. Keine einzige Wolke bedeckte den Himmel und die reflektierenden Farben schimmerten sanft auf der Wasseroberfläche und vermischten sich dort zu einem Spiel von so wahrer Reinheit, wie es nur Mutter Natur zu zaubern vermag. Sein Blick richtete sich ununterbrochen auf das faszinierende Schauspiel. Er hielt eine Weile inne und sog dieses ihn packende Gefühl der Wahrheit tief in sich ein. Wie lange hatte er auf dieses Ereignis warten müssen und jetzt, als es da war, war es noch schöner und gewaltiger als er es sich je in seinen phantasievollsten Träumen vorstellen vermochte.
Langsam und vorsichtig beugte er sich ein kleines Stück nach vorne und blickte den Abhang hinunter. Die Klippen waren steil und ohne jeglichen Vorsprung, wie ein Schnitt zu einer anderen Welt. Ohne Mühe konnte er direkt bis an den unteren Rand sehen, dort wo Meer und Klippen unruhig verschmolzen. Die See war ruhig und trotzdem prallten die Wellen mit einer so immensen Kraft an das Gestein, dass die Gischt meterhoch spritzte. Dieses weiß und blau wirkte so wundervoll, atemberaubend und rein. Er hatte sich das Meer immer schmutzig und verdreckt vorgestellt, doch nicht einen einzigen Schatten konnte er erkennen. Nichts, nur die tiefe Reinheit und Wahrheit. Dann, nach einer Weile, sah er wieder auf. Er wusste nicht, wie lange er schon hier stand, denn dieses überwältigende Gefühl hatte ihm jegliche Zeitvorstellung geraubt. Waren es Sekunden, Stunden, Tage oder vielleicht sogar Jahre. Er wusste es nicht. Er wusste nur eines, dass das, was er hier sah, was er hier fühlte, sein Leben war. Ungetrübt von anderen Einflüssen. Nur sein Leben, sein eigenes Ich. Eine Träne rollte sanft über seine Wange. Eine Träne der Freude und Erfüllung. Endlich war er frei. Freiheit. Er hatte geglaubt, dieses Gefühl nie zu erlangen, doch jetzt war es da und er genoss es in jeder Sekunde seines Daseins.
Wie lange war er eingesperrt, gefangen wie ein Stück Vieh. Man hatte ihn gezwungen, Dinge zu tun, die er so verabscheute, dass er lieber gestorben wäre, als sich diesen Taten hinzugeben. Doch er tat es. Die Ungewissheit und die Angst vor Veränderung trieben ihn dazu. Gefangen in den Zwängen von anderen, in den Maßstäben der Masse, stets auf der Suche nach der eigenen Identität. Wie oft wünschte er sich den Tod. Die schnelle und feiger Erlösung aus den Qualen. Doch der Gedanke an Freiheit hielt ihm am Leben, die Hoffnung, der Drang, einmal dieses wundervolle Gefühl der Erfüllung und des Seins auskosten zu können. Dieses Verlangen hatte ihm die Stärke verliehen, all die Schmerzen und Qualen der Kindheit, der Jugend und des Erwachsenseins zu ertragen, den Zwängen zu entrinnen und endlich die stählernen Ketten zu zersprengen. Er gab niemanden die Schuld für seine Situation. Er wusste eigentlich nicht einmal selber, wie er in diese missliche Lage geraten war. Wahrscheinlich war es einfach so passiert. Nach und nach, immer ein Stückchen mehr, bis es soweit war, dass es keinen Ausweg mehr gab. Immer mehr wurden seine Gedanken von der nie endenden Suche gefangen gehalten, immer mehr schlossen sich die Ketten um seine Seele. Die dunkle Kammer der Trübsal vernebelte nach und nach seinen Blick, bis er die Realität und Freude des Seins verloren hatte. Nicht die Gegenwart lebte er und schwelgte so in den Erinnerungen und Fehlern der Vergangenheit und in den Träumen und Wünschen der Zukunft. Keine Chance auf entfliehen. Die dunkle Seite hatte ihn fest mit ihrer eisigen Kälte umschlossen.
Sie hatten ihn gejagt, mit einer unerbittlichen Härte und ohne jeglichen Gedanke an Gnade. Oft war er am Ende seiner Kräfte und stand kurz davor aufzugeben. Doch er hielt durch. Eisern kämpfte er sich weiter durch seine eigentlich hoffnungslose Flucht. Noch nie hatten seine Verfolger verloren und warum sollte es gerade beim ihm anders sein? Nein, die Chancen standen schlecht. Doch das war im egal. Jetzt, wo er so kurz davor stand, das letzte fehlende Gefühl vom Lebensglück zu erkunden. Er gab nicht auf und er unbezähmbare Wille und der tiefe Drang nach Erfüllung und Freiheit ließen ihn durchhalten.
Und jetzt stand er hier. Was zählten noch die Schmerzen und Erinnerungen an die Vergangenheit? Jetzt war er endlich frei. Sein Blick hatte sich keinen Augenblick von der untergehenden Sonne gelöst. Eine weitere kleine Träne rann über sein Gesicht. Ja, dies war sein Leben. Das erste mal überhaupt. Diese Sekunden hier, oder Stunden, Tage, Jahre. Es war sein freies Leben und er stand da und genoss es.
Er breitete seine Arme aus, ganz langsam und vorsichtig, als wären es Schwingen eines engelgleichen Wesens, die so zerbrechlich wirkten, dass man sie mit aller nur möglichen Behutsamkeit und Sorgfalt behandeln müsste.
Hinter ihm wurde seine Verfolger in der Ferne sichtbar. Immer schneller näherten sie sich. Sie mussten sich ihrer Sache ganz sicher sein, denn der Lärm, den sie verbreiteten, war unerträglich. Doch er hörte sie nicht. Und selbst wenn, wäre es ihm egal gewesen, denn wo hätte er jetzt noch hingewollt. Die Meute kam immer näher und näher, und der Abstand zu ihm war schon auf ein bedrohliches Minimum geschrumpft. Bald hätten die Zwänge ihn wieder.
Jetzt hatte er seine Arme vollends ausgebreitet und war bereit zu fliegen. Er sah die Sonne schon nicht mehr und auch nicht das Meer. Er war nun vollkommen eins mit sich und frei. Langsam kippte er nach vorne, um wie ein Adler davon zu schweben. Schüsse fielen. Dumpf war der Ton, als die Kugeln seinen Körper durchschlugen, doch er spürte es nicht mehr. Seine Verfolger kamen zu spät. Immer weiter beugte er sich nach vorne. Und dann endlich flog er. Wie ein Engel. So sanft, so majestätisch und so grenzenlos frei. Frei, jetzt war es wirklich. Das Ziel seiner Reise war erreicht.

Ende


Einstell-Datum: 2006-07-30

Hinweis: Dieser Artikel spiegelt die Meinung seines Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung der Betreiber von versalia.de übereinstimmen.

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