„Du frisst viel zu viel.“
Peter schaute von seinem Brötchen hoch in das Gesicht der Person, die gewagt hatte, sein Frühstücksritual zu bemängeln.
„Dir würde es nicht schaden, mal was Anständiges zu essen.“ Er grinste, hielt Kathrin das halbe, von fünf dicken Bierschinkenscheiben belegte Brötchen hin und zog seine Augenbrauen hoch.
„Ne, danke, zu viel Brot.“ Sie lächelte und Peter schob sich das Brötchen mit zwei Bissen rein, kippte einen Schluck Kaffee hinterher und nahm sich die nächste (vierte!!) vor. Sie nagte an ihrer Honigsemmel, genoss die Ruhe vor der Arbeit und das morgendliche Gespräch mit einem ihrer besten Freunde und Arbeitskollegen.
Ihr fiel auf, das Peter wieder an Gewicht zugelegt hatte. Er war der typische Kummerfresser: Je mehr Sorgen, desto schwerer. Aber es war streckenweise schwierig, ihn aus der Reserve zu locken. Er redete nicht gerne über private Dinge. Manchmal war es wohl besser, bestimmte Peinlichkeiten für sich zu behalten, dachte sie sich. Sie vermutete schon lange, das ihr nur eine Fassade aus Gemütlichkeit und gespielter guter Laune gegenübersaß.
Kathrin beugte sich nach vorne, um seine Aufmerksamkeit, zumindest kurz, von dem Gelage abzulenken.
Er stockte mit offenem Mund. „Was?“
„Du hast ein Problem!“ Sie hatte in den Jahren gelernt, das bei Peter die „Ich falle mit der Tür ins Haus“-Methode am Erfolgversprechendsten war. Er legte den Käseberg zur Seite, lehnte seine 150kg zurück, wobei der Plastikstuhl verdächtig knarrte, und schaute sie zwar an, aber auch irgendwie durch sie durch. Wow, dachte sich Kathrin, ein seltener Moment, wenn er sein Essen unterbrach. Es musste wirklich Ernst sein.
Sie versuchte es noch mal. „Peter,“ sie schnippte mit den Fingern, seine Augen waren sofort wieder bei ihr „was ist los?“ Es klang Besorgnis in ihrer Stimme.
„Ich weiß nicht.“
Was? Was soll das denn? Erst tut er so, als würde er gleich in Tränen ausbrechen und dann? Sie hatte ihn jetzt an der Angel und würde ihn nicht mehr auslassen.
„Hör mal, du weißt, das alles, was du sagst, bei mir bleibt. Ich weiß zum Beispiel von Andy, das du eine gewaltige Pornosammlung unter deinem Bett hast. Hab ich jemals etwas darüber irgend jemanden gegenüber erwähnt? Nein. Also, was ist mit dir? Du brauchst dich ja nur selbst anschauen. Du siehst furchtbar aus. Wann hast du dich zuletzt rasiert?“
Sie hatte recht, dachte sich Peter, ich kann es zumindest vor ihr nicht verbergen. Er kratzte sich am Fünf-Tage-Bart, der an manchen Stellen dichter und an anderen dünner wuchs, was einfach furchtbar aussah. Abgerundet wurde das aufgequollene Gesicht von einer unkontrollierbaren Frisur. Er hatte sein letztes Bad nur in dunkler Erinnerung, irgendwann letzte Woche. Aber er war zu sehr damit beschäftigt, auf diesen einen speziellen Moment zu warten, der diese Tage mit tödlicher Sicherheit kommen würde.
„Was jetzt? Sagst du mir nun, was du hast oder kannst du darüber nicht sprechen?“
Er schüttelte den Kopf, ordnete seine Gedanken und stand auf. Während er sein Frühstück aufräumte, atmete er schwer ein und aus. Es überflog ihn ein Schaudern, dann wendete er sich Kathrin zu. „Ich weiß es wirklich nicht. Es ist so eine Art Gefühl, das etwas passieren wird, aber ich kann dir nicht sagen, was.“ Sein Blick ging zur Decke und sein gewaltiger Brustkorb hob sich. Nach einem endlosen Seufzer nahm er allen Mut zusammen und sagte „Wenn ich mich nicht beherrsche, dann stirbt jemand.“
Sie ließ ihr Brötchen auf den Tisch fallen und musste loslachen. „Du spinnst. Du willst mich verarschen.“ Sein ernstes Gesicht sprach eine andere Sprache. Sie verstummte.
„Du weißt, das ich damals in Hannover für ein paar Tage verschwunden bin.“
Sie konnte sich erinnern. Es war Jahre her. Sie kannten sich aus dieser Stadt und wurden sozusagen Freunde fürs Leben. Aber er sprach nie über die Zeit, als er verschwunden war. „Peter, was soll das? Ich weiß, das du nie über diese Tage reden willst. Warum fängst du jetzt damit an?“
Er kniete sich zu ihr nieder. „Ich bin damals verschwunden, weil ich jemanden getötet hatte. Ich kann es dir nicht erklären, aber es war so. Ich habe jemanden umgebracht und ich war noch nicht mal in seiner Nähe.“
Ihr setzte der Verstand für einen Moment aus. Jetzt war sie sich sicher, das er sie auf den Arm nahm. Sie prustete los und meinte „Ja, klar. Genauso wie deine Pfurze. Die töten auch noch Leute, wenn du schon lange weg bist.“
Er ließ sie los, wunderte sich kein bisschen über ihren Unglauben und ging an die Arbeit. Dieser Abgang machte ihr Angst. Sie erschauerte, beließ es allerdings dabei, da sie sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, wie man jemanden in Abwesenheit töten könnte. Er war ja schließlich kein Zauberer oder Telepath. Die Tage damals in Hannover waren allerdings schon gruselig. Peter verschwand für ungefähr sechs oder sieben Tage und als er wieder auftauchte, war er völlig mit den Nerven am Ende. Er versuchte, irgend etwas von einem Bären zu erklären, den er angeblich sah und alle schoben es auf den Alkohol, nach dem er über und über stank.
Kathrin ging ebenfalls an die Arbeit und sah Peter im Lager Kartons von einer Palette laden. Na, das wird sich noch klären, dachte sie sich und nahm ihr erstes Kundengespräch entgegen.
Peter bekam es mit der Angst zu tun. Er wusste, das es heute so weit sein würde, aber wer? Welche Person würde er töten? Er konnte sich nicht vorstellen, das es jemand aus der Firma sein würde. Er kam mit den meisten ziemlich gut aus, trotz seiner manchmal etwas unreifen Art. Wer würde ihn so verärgern, das er seine Wut nicht mehr kontrollieren könnte? Da klingelte sein Telefon. Er sah die Nummer der Buchhaltung und nahm ab.
„Morgen, Peter.“ Es war Viktor. „Kommst du bitte mal hoch?“
„Viktor, hat das nicht Zeit bis später? Ich habe hier ne Menge zu tun.“
Die Stimme Viktors wurde ernster. „Lass alles stehen und liegen. Das hier ist wichtiger.“ Ein Klicken in der Leitung. Der Buchhalter hatte aufgelegt. Peter setzte den Karton ab, den er unter dem Arm hielt und ging hoch in den zweiten Stock.
Durch das Glas in der Tür zur Buchhaltung konnte er die streng gekleidete Dame erkennen. Sie war wohl der Grund für die Unterbrechung seiner Arbeit. Er schnaubte tief durch und betrat das Büro.
„Peter Wolf.“ Viktor hatte keine Chance, etwas zu sagen. Die Frau legte sofort los. Peter fiel dabei ihr abweisender und überheblicher Blick auf, als sie seine Statur betrachtete. „Sie sind doch Peter Wolf.“
„Ja, Miss?“
„Miss Carter.“ Sie machte nicht mal Anstalten, ihm die Hand zu geben und er ließ es dabei. „Ich habe ihnen etwas mitzuteilen.“ Sie streckte ihm einen Umschlag hin und warf dabei einen scharfen Blick auf den Buchhalter. Viktor hielt es für besser, sich einen Kaffee zu holen.
Peter hielt den Umschlag in der Hand und war verunsichert.
„Na, los.“ Sie winkte ungeduldig mit ihrer Hand. „Öffnen sie schon. Das spart mir die Worte. Ich bin nicht gewillt, mit ihnen mehr zu reden als nötig.“ Wieder dieser abschätzende Blick. Er fühlte sich an den Eiern gepackt. Mit einem leisen Zippen öffnete er den Brief und entnahm ihm einen Stoß Papiere. Es waren Ausdrucke aus dem Internet und es ging um eine Person, auf deren Kopf eine hohe Belohnung ausgesetzt war. Es ging um ihn. Zwar war kein Bild von ihm darin, aber die Beschreibung traf ihn ziemlich genau.
„Sie sind doch dieser Typ da.“ Sie tippte mit dem Finger auf die Papiere in seiner Hand.
„Tut mir leid.“ Er streckte ihr den Stoß entgegen. „Damit habe ich nichts zu tun. Ich bin nicht der, von dem hier die Rede ist.“ Hinter Miss Carter begann die Luft zu schimmern. Oh, nein, dachte er, diesmal nicht. Ihm brach der Schweiß aus, als er versuchte, den Prozess, den sie in Gang gesetzt hatte, zu stoppen.
„Sie wollen behaupten, sie sind nicht dieses abscheuliche Monstrum, das diese Dinge hier begangen hat.“ Sie drehte ihm in seiner Hand die Papiere um und er sah auf den letzten Blättern Bilder von barbarisch zugerichteten Leichen. Vor Angst entfuhr ihm ein leiser Pfurz. Der Raum veränderte sich hinter Miss Carter. Er konnte eine Höhle erkennen. „Mein Gott, reißen sie sich zusammen.“ Sie fing zu keifen an und hielt sich die Nase zu. „Sie stinken aus allen Löchern, die sie haben.“
„Hören sie, ich mag vielleicht der sein, den sie suchen, aber ich bin es doch nicht. Diese Morde hat ein Teil von mir begangen, den ich nicht kontrollieren kann.“
„Sehen sie, ich wusste, das sie es sind. Ich beobachte sie schon ein paar Tage und war mir anfangs nicht ganz sicher.“ Sie legte ein überhebliches Lächeln auf. „Wissen sie, das man von dem Geld, das auf sie ausgesetzt ist, ganz gut leben kann?“
Die Luft wurde dunkler und Umrisse erkennbar. Der Bär kam zurück.
„Miss Carter. Ich bitte sie inständig, schleunigst diesen Raum zu verlassen.“
„Ha, genau. Damit sie wieder untertauchen können wie damals in Hannover.“ Er stutzte. Das Zimmer hinter der Frau war jetzt vollkommen ausgefüllt von einer Höhle und der Bär darin hob lautlos die Tatzen. „Ja, genau, ich kenne ihren Weg. Sie versuchen immer, ihre Spuren zu verwischen. Aber ich bin ihnen auf die Schliche gekommen.“ Sie griff zum Telefonhörer, ohne ihn aus den Augen zu lassen und wählte eine Nummer. Noch bevor jemand antworten konnte, packte der Bär Miss Carter mit riesigen Klauen, deren lange Nägel sich tief in ihren Hals bohrten. Sie konnte nicht mehr schreien, als das Monstrum ihr in die Seite biss und mit einem Ruck einen Lungenflügel aus dem Körper riss.
Peter sah ihr in die toten Augen und sofort verblasste der Bär, die Höhle und die Frau. Es blieb nichts zurück bis auf die Papiere. Er steckte die Bögen wieder sorgfältig in den Umschlag, ging zurück an seinen Arbeitsplatz, traf unterwegs Viktor.
„Wo ist Miss Carter hin?“
„Oh.“ Peter lächelte „Sie musste
dringend weg.“
Er ließ den verdutzt dreinblickenden Buchhalter stehen und machte sich wieder an die Arbeit. Kathrin kam vorbei und sah mit Freuden, das es ihm wieder besser ging.
„Na? Heute schon jemanden getötet“ witzelte sie.
„Jep.“ Er hob einen Karton und lächelte. „Es wird immer einfacher.“
Auf einer Waldlichtung, ca. 300 Meilen von den beiden entfernt, wurde eine Leiche in den nassen Morgentau gespuckt. Es dauerte drei Wochen, bis ein Jäger auf die zerfressene und vermoderte Miss Carter traf.
Peter schaute von seinem Brötchen hoch in das Gesicht der Person, die gewagt hatte, sein Frühstücksritual zu bemängeln.
„Dir würde es nicht schaden, mal was Anständiges zu essen.“ Er grinste, hielt Kathrin das halbe, von fünf dicken Bierschinkenscheiben belegte Brötchen hin und zog seine Augenbrauen hoch.
„Ne, danke, zu viel Brot.“ Sie lächelte und Peter schob sich das Brötchen mit zwei Bissen rein, kippte einen Schluck Kaffee hinterher und nahm sich die nächste (vierte!!) vor. Sie nagte an ihrer Honigsemmel, genoss die Ruhe vor der Arbeit und das morgendliche Gespräch mit einem ihrer besten Freunde und Arbeitskollegen.
Ihr fiel auf, das Peter wieder an Gewicht zugelegt hatte. Er war der typische Kummerfresser: Je mehr Sorgen, desto schwerer. Aber es war streckenweise schwierig, ihn aus der Reserve zu locken. Er redete nicht gerne über private Dinge. Manchmal war es wohl besser, bestimmte Peinlichkeiten für sich zu behalten, dachte sie sich. Sie vermutete schon lange, das ihr nur eine Fassade aus Gemütlichkeit und gespielter guter Laune gegenübersaß.
Kathrin beugte sich nach vorne, um seine Aufmerksamkeit, zumindest kurz, von dem Gelage abzulenken.
Er stockte mit offenem Mund. „Was?“
„Du hast ein Problem!“ Sie hatte in den Jahren gelernt, das bei Peter die „Ich falle mit der Tür ins Haus“-Methode am Erfolgversprechendsten war. Er legte den Käseberg zur Seite, lehnte seine 150kg zurück, wobei der Plastikstuhl verdächtig knarrte, und schaute sie zwar an, aber auch irgendwie durch sie durch. Wow, dachte sich Kathrin, ein seltener Moment, wenn er sein Essen unterbrach. Es musste wirklich Ernst sein.
Sie versuchte es noch mal. „Peter,“ sie schnippte mit den Fingern, seine Augen waren sofort wieder bei ihr „was ist los?“ Es klang Besorgnis in ihrer Stimme.
„Ich weiß nicht.“
Was? Was soll das denn? Erst tut er so, als würde er gleich in Tränen ausbrechen und dann? Sie hatte ihn jetzt an der Angel und würde ihn nicht mehr auslassen.
„Hör mal, du weißt, das alles, was du sagst, bei mir bleibt. Ich weiß zum Beispiel von Andy, das du eine gewaltige Pornosammlung unter deinem Bett hast. Hab ich jemals etwas darüber irgend jemanden gegenüber erwähnt? Nein. Also, was ist mit dir? Du brauchst dich ja nur selbst anschauen. Du siehst furchtbar aus. Wann hast du dich zuletzt rasiert?“
Sie hatte recht, dachte sich Peter, ich kann es zumindest vor ihr nicht verbergen. Er kratzte sich am Fünf-Tage-Bart, der an manchen Stellen dichter und an anderen dünner wuchs, was einfach furchtbar aussah. Abgerundet wurde das aufgequollene Gesicht von einer unkontrollierbaren Frisur. Er hatte sein letztes Bad nur in dunkler Erinnerung, irgendwann letzte Woche. Aber er war zu sehr damit beschäftigt, auf diesen einen speziellen Moment zu warten, der diese Tage mit tödlicher Sicherheit kommen würde.
„Was jetzt? Sagst du mir nun, was du hast oder kannst du darüber nicht sprechen?“
Er schüttelte den Kopf, ordnete seine Gedanken und stand auf. Während er sein Frühstück aufräumte, atmete er schwer ein und aus. Es überflog ihn ein Schaudern, dann wendete er sich Kathrin zu. „Ich weiß es wirklich nicht. Es ist so eine Art Gefühl, das etwas passieren wird, aber ich kann dir nicht sagen, was.“ Sein Blick ging zur Decke und sein gewaltiger Brustkorb hob sich. Nach einem endlosen Seufzer nahm er allen Mut zusammen und sagte „Wenn ich mich nicht beherrsche, dann stirbt jemand.“
Sie ließ ihr Brötchen auf den Tisch fallen und musste loslachen. „Du spinnst. Du willst mich verarschen.“ Sein ernstes Gesicht sprach eine andere Sprache. Sie verstummte.
„Du weißt, das ich damals in Hannover für ein paar Tage verschwunden bin.“
Sie konnte sich erinnern. Es war Jahre her. Sie kannten sich aus dieser Stadt und wurden sozusagen Freunde fürs Leben. Aber er sprach nie über die Zeit, als er verschwunden war. „Peter, was soll das? Ich weiß, das du nie über diese Tage reden willst. Warum fängst du jetzt damit an?“
Er kniete sich zu ihr nieder. „Ich bin damals verschwunden, weil ich jemanden getötet hatte. Ich kann es dir nicht erklären, aber es war so. Ich habe jemanden umgebracht und ich war noch nicht mal in seiner Nähe.“
Ihr setzte der Verstand für einen Moment aus. Jetzt war sie sich sicher, das er sie auf den Arm nahm. Sie prustete los und meinte „Ja, klar. Genauso wie deine Pfurze. Die töten auch noch Leute, wenn du schon lange weg bist.“
Er ließ sie los, wunderte sich kein bisschen über ihren Unglauben und ging an die Arbeit. Dieser Abgang machte ihr Angst. Sie erschauerte, beließ es allerdings dabei, da sie sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, wie man jemanden in Abwesenheit töten könnte. Er war ja schließlich kein Zauberer oder Telepath. Die Tage damals in Hannover waren allerdings schon gruselig. Peter verschwand für ungefähr sechs oder sieben Tage und als er wieder auftauchte, war er völlig mit den Nerven am Ende. Er versuchte, irgend etwas von einem Bären zu erklären, den er angeblich sah und alle schoben es auf den Alkohol, nach dem er über und über stank.
Kathrin ging ebenfalls an die Arbeit und sah Peter im Lager Kartons von einer Palette laden. Na, das wird sich noch klären, dachte sie sich und nahm ihr erstes Kundengespräch entgegen.
Peter bekam es mit der Angst zu tun. Er wusste, das es heute so weit sein würde, aber wer? Welche Person würde er töten? Er konnte sich nicht vorstellen, das es jemand aus der Firma sein würde. Er kam mit den meisten ziemlich gut aus, trotz seiner manchmal etwas unreifen Art. Wer würde ihn so verärgern, das er seine Wut nicht mehr kontrollieren könnte? Da klingelte sein Telefon. Er sah die Nummer der Buchhaltung und nahm ab.
„Morgen, Peter.“ Es war Viktor. „Kommst du bitte mal hoch?“
„Viktor, hat das nicht Zeit bis später? Ich habe hier ne Menge zu tun.“
Die Stimme Viktors wurde ernster. „Lass alles stehen und liegen. Das hier ist wichtiger.“ Ein Klicken in der Leitung. Der Buchhalter hatte aufgelegt. Peter setzte den Karton ab, den er unter dem Arm hielt und ging hoch in den zweiten Stock.
Durch das Glas in der Tür zur Buchhaltung konnte er die streng gekleidete Dame erkennen. Sie war wohl der Grund für die Unterbrechung seiner Arbeit. Er schnaubte tief durch und betrat das Büro.
„Peter Wolf.“ Viktor hatte keine Chance, etwas zu sagen. Die Frau legte sofort los. Peter fiel dabei ihr abweisender und überheblicher Blick auf, als sie seine Statur betrachtete. „Sie sind doch Peter Wolf.“
„Ja, Miss?“
„Miss Carter.“ Sie machte nicht mal Anstalten, ihm die Hand zu geben und er ließ es dabei. „Ich habe ihnen etwas mitzuteilen.“ Sie streckte ihm einen Umschlag hin und warf dabei einen scharfen Blick auf den Buchhalter. Viktor hielt es für besser, sich einen Kaffee zu holen.
Peter hielt den Umschlag in der Hand und war verunsichert.
„Na, los.“ Sie winkte ungeduldig mit ihrer Hand. „Öffnen sie schon. Das spart mir die Worte. Ich bin nicht gewillt, mit ihnen mehr zu reden als nötig.“ Wieder dieser abschätzende Blick. Er fühlte sich an den Eiern gepackt. Mit einem leisen Zippen öffnete er den Brief und entnahm ihm einen Stoß Papiere. Es waren Ausdrucke aus dem Internet und es ging um eine Person, auf deren Kopf eine hohe Belohnung ausgesetzt war. Es ging um ihn. Zwar war kein Bild von ihm darin, aber die Beschreibung traf ihn ziemlich genau.
„Sie sind doch dieser Typ da.“ Sie tippte mit dem Finger auf die Papiere in seiner Hand.
„Tut mir leid.“ Er streckte ihr den Stoß entgegen. „Damit habe ich nichts zu tun. Ich bin nicht der, von dem hier die Rede ist.“ Hinter Miss Carter begann die Luft zu schimmern. Oh, nein, dachte er, diesmal nicht. Ihm brach der Schweiß aus, als er versuchte, den Prozess, den sie in Gang gesetzt hatte, zu stoppen.
„Sie wollen behaupten, sie sind nicht dieses abscheuliche Monstrum, das diese Dinge hier begangen hat.“ Sie drehte ihm in seiner Hand die Papiere um und er sah auf den letzten Blättern Bilder von barbarisch zugerichteten Leichen. Vor Angst entfuhr ihm ein leiser Pfurz. Der Raum veränderte sich hinter Miss Carter. Er konnte eine Höhle erkennen. „Mein Gott, reißen sie sich zusammen.“ Sie fing zu keifen an und hielt sich die Nase zu. „Sie stinken aus allen Löchern, die sie haben.“
„Hören sie, ich mag vielleicht der sein, den sie suchen, aber ich bin es doch nicht. Diese Morde hat ein Teil von mir begangen, den ich nicht kontrollieren kann.“
„Sehen sie, ich wusste, das sie es sind. Ich beobachte sie schon ein paar Tage und war mir anfangs nicht ganz sicher.“ Sie legte ein überhebliches Lächeln auf. „Wissen sie, das man von dem Geld, das auf sie ausgesetzt ist, ganz gut leben kann?“
Die Luft wurde dunkler und Umrisse erkennbar. Der Bär kam zurück.
„Miss Carter. Ich bitte sie inständig, schleunigst diesen Raum zu verlassen.“
„Ha, genau. Damit sie wieder untertauchen können wie damals in Hannover.“ Er stutzte. Das Zimmer hinter der Frau war jetzt vollkommen ausgefüllt von einer Höhle und der Bär darin hob lautlos die Tatzen. „Ja, genau, ich kenne ihren Weg. Sie versuchen immer, ihre Spuren zu verwischen. Aber ich bin ihnen auf die Schliche gekommen.“ Sie griff zum Telefonhörer, ohne ihn aus den Augen zu lassen und wählte eine Nummer. Noch bevor jemand antworten konnte, packte der Bär Miss Carter mit riesigen Klauen, deren lange Nägel sich tief in ihren Hals bohrten. Sie konnte nicht mehr schreien, als das Monstrum ihr in die Seite biss und mit einem Ruck einen Lungenflügel aus dem Körper riss.
Peter sah ihr in die toten Augen und sofort verblasste der Bär, die Höhle und die Frau. Es blieb nichts zurück bis auf die Papiere. Er steckte die Bögen wieder sorgfältig in den Umschlag, ging zurück an seinen Arbeitsplatz, traf unterwegs Viktor.
„Wo ist Miss Carter hin?“
„Oh.“ Peter lächelte „Sie musste
dringend weg.“
Er ließ den verdutzt dreinblickenden Buchhalter stehen und machte sich wieder an die Arbeit. Kathrin kam vorbei und sah mit Freuden, das es ihm wieder besser ging.
„Na? Heute schon jemanden getötet“ witzelte sie.
„Jep.“ Er hob einen Karton und lächelte. „Es wird immer einfacher.“
Auf einer Waldlichtung, ca. 300 Meilen von den beiden entfernt, wurde eine Leiche in den nassen Morgentau gespuckt. Es dauerte drei Wochen, bis ein Jäger auf die zerfressene und vermoderte Miss Carter traf.