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Rezensionen


 
James Baldwin - Gesammelte Erzählungen
Buchinformation

Der 1968 erschienene Sammelband kam später unter zwei weiteren Titeln heraus: „Sonnys Blues“ bzw. „Des Menschen nackte Haut“. Alle drei Ausgaben wird man heute, wie fast alles von Baldwin in deutscher Übersetzung, im Normalfall gebraucht oder aus Restauflagen sich leicht verschaffen können.

Baldwins große Leistung war, das Thema Rassendiskriminierung in den USA mit den Mitteln des Neorealismus in die zeitgenössische gehobene Literatur eingeführt zu haben. Dabei gelang ihm der Spagat zwischen anspruchsvollem Schreiben und Massentauglichkeit. Selbstverständlich beschreiben seine Darstellungen inzwischen im Wesentlichen eine historische Realität, die nur noch zum Teil mit der Welt von heute deckungsgleich ist – in welchem Umfang, das muss einer speziellen Untersuchung vorbehalten bleiben. Für Baldwins fortdauernde Aktualität über seine Lebensspanne hinaus genügt fürs Erste ein Zitat aus der Erzählung „Heute Morgen, heute Abend, so bald“: „Das Leben eines jeden Menschen beginnt dort, wo er Rassen, Armeen und Religionen hinter sich lässt.“ Dass das vor allem Postulat ist, beweisen gerade seine Erzählungen.

Die ersten beiden dürften die autobiographischsten sein. In „Der Felsblock“ spiegelt sich die Familienproblematik des jungen Baldwin wider: ungeliebtes Stiefkind eines sehr dominanten schwarzen Predigers in Harlem zu sein. „Der Ausflug“ vertieft die Beschreibung des Harlemer Milieus, enthält eine vorzügliche Darstellung der Religiosität dort und ein stilles, sehr berührendes inneres Coming-out. „Der Erbe“, die Geschichte eines Kindermordes auf dem Land, entfernt sich am weitesten vom Hauptthema der Erzählungen. Sein Schluss, ein Dialog zwischen Täter und Opfer, ist problematisch. Baldwin entging nicht immer den Gefahren übergroßer Verdeutlichung bis hin zur platten Sentimentalität. Rundum überzeugend dann wieder der alltägliche Rassismus in New York um 1960 und wie einer damit (nicht) fertig wird („Die unveräußerlichen Rechte“).

„Sonnys Blues“, einer der bekanntesten Texte von Baldwin, findet sich auch in Anthologien wieder. Das Bruderdrama ist angesiedelt im Dreieck Harlem – Rauschgift – Musik. Im nächsten Text „Heute Morgen, heute Abend, so bald“ steht ein schwarzer Sänger und Schauspieler nach längerem Pariser Exil vor seiner Heimkehr in die USA. Hier finden wir einen kritischen Vergleich Amerikas mit Europa. Dass er nicht nur zugunsten des alten Erdteils ausfällt, zeigt u.a. ein drastisches Detail zum damaligen Algerienkrieg. „Rückkehr aus der Wüste“ mag dem heutigen europäischen Leser vielleicht am wenigsten zusagen. Er muss sich in die Seelenverfassung einer schwarzen jungen Frau versetzen. Jetzt ist die Rassenfrage verknüpft mit Sexualität und durch sie hervorgerufene Schuldgefühle. Sexualität und Rassenwahn sind auch im letzten Text „Des Menschen nackte Haut“ eng verwoben, hier jedoch durchaus gelungen. Gleichwohl ist diese Lynchmordgeschichte nicht eben leicht zu lesen: ein brutalstmöglicher Schluss des Buches.

Warum sollte man Baldwin heute noch oder wieder lesen? Zum einen, um sich vor Augen zu halten, wie schlecht es noch vor wenigen Jahrzehnten um die Gleichheit bestellt war. Zum anderen, um danach einen Vergleich mit der Gegenwart anzustellen zu können: Wie weit ist die Emanzipation fortgeschritten? Schließlich wegen der frischen Lebendigkeit der Baldwinschen Figuren, die noch immer zur Identifikation einladen und Empathie zu wecken imstande sind.

[*] Diese Rezension schrieb: Arno Abendschön (2013-11-08)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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