Michael Behrendt - Verhört, verkannt, vereinnahmt. 99 ½ missverstandene Songs
Buchinformation
"Griechischer Wein". Die einen denken dabei an Urlaub, die anderen an Heimweh. Was ist dran an legendären Missverständnisse und falschen Interpretationen? Hört wirklich jeder nur das, was er hören will? Musikjournalist und Sachbuchautor Michael Behrendt hat sich auf die Suche gemacht. Und wurde fündig!
Pop und Rock: ein Missverständnis?
Eines der bekanntesten Missverständnisse ist wohl "Born in the USA" von Bruce Springsteen aus dem Jahre 1984. Damals war Ronald Reagan Präsident und dieser war sich nicht zu minder, die "Botschaft der Hoffnung" in dem Song zu loben. Aber Bruce Springsteen wehrte sich gegen die Vereinnahmung seines Songs und hätte nur einer auf die Zeilen zwischen dem Refrain gehört, wäre jedem klar gewesen, dass Born in the USA eigentlich ein Protestsong voller Wut ist. Denn Springsteen singt gegen ein Land, das seine sozial Schwachen zum Töten in den Krieg gegen andere Länder schickt. Aber wie muss es einem Künstler gehen, der so grundsätzlich missverstanden wird, dass Fans beim Singen dieses Liedes die amerikanische Flagge schwenken? Auch der Radiohit "I don't like Mondays" unterliegt einem grundsätzlichen Missverständnis. Bob Geldof, der Sänger der Boomtown Rats, singt tatsächlich über ein Schulmassaker an der Grover Cleveland Grundschule in San Diego, Kalifornien, wo die 16-jährige Brenda Ann Spencer acht Schulkinder und einen Polizisten mit einem Gewehr anschoss, das sie zu Weihnachten von ihrem Vater bekommen hatte. Aber wie der Autor schon sagte: jeder hört eben das in einem Song, was er hören will. Vielleicht ist auch genau das Geheimnis des Erfolges?
Gruselig, lustig und gemein
"Gruselig" findet der Autor dann zumindest zwei Lieder, die beide dem Stalken huldigen. Einerseits "Every breath you take" von Police, andererseits auch Adele's "Someone like you". Kann man das Objekt seiner Liebe nicht einfach in Ruhe lassen? Eine berechtigte Frage, wenn man sich erstmal die Lyrics vor Augen geführt hat. Aber "Verwirrspiel um Bedeutungsebenen" gehören im Pop eben zum guten Geschäft. Oder zum Machtmissbrauch der Emotionen, wie man will. "Lustig" wird es dann mit Liebesliedern, die gar keine sind. Etwa Whitney Houstons "I will always love you", das eigentlich ein Abschiedssong von einer Beziehung ist und dennoch regelmäßig auf Hochzeiten (!) als Begleitmusik angefordert wird. Ebenso übrigens auf Beerdigungen. "Total Eclipse of the Heart", das eigentlich für Meat Loaf geschrieben worden war und sich auf den Vampirfilm Nosferatu bezog, wurde durch Bonnie Tyler zum Megahit. Wohl auch deswegen, weil keiner so richtig versteht, warum es darin wirklich geht. "Gemein" kann man den von Serge Gainsbourg für France Gall geschriebenen Song "Les Sucettes" nennen, denn es geht nur ganz vordergründig um Lollipops. Wer sich das dazugehörige Video anschaut, kann das süffisant unterdrückte Grinsen von Gainsbourg durchaus wahrnehmen, denn France ahnte anscheinend nichts von der Allegorie zu Oralsex.
Enzyklopädie der Missverständnisse
Kurzum ein kurzweiliges Nachschlagewerk, in dem es sich durchaus zu schmökern lohnt. Anekdoten und Hintergründe über einige der streitbarsten Songs der deutschen und internationalen Rockgeschichte, die einen manchmal auch den Kopf schütteln lassen über einige vom Zeitgeist verblendete Chef-Ideologen. So wurde etwa die Elektropopband Mia durch ihr Erich Fried Gedicht "Was es ist" in einen handfesten Skandal verwickelt. Man warf ihnen Vergangenheitsverklitterung und Geschichtsvergessenheit vor nur weil sie wieder frei in einem freien Land leben wollten. Das lässt sich gerade noch von einer Werbung für eine Hämorrhoiden-Creme, die Johnny Cash's Song "Ring of Fire" verwendete, an Absurdität überbieten. Michael Behrendt führt durch die wundersame Welt der missverstandenen Songs und sorgt für einiges schmunzeln, gruseln und neu entdecken.
Michael Behrendt
Verhört, verkannt, vereinnahmt.
99 ½ missverstandene Songs
2025, Softcover, 282 Seiten
ISBN: 978-3-15-011543-5
Reclam
18,00 €
[*] Diese Rezension schrieb: Juergen Weber (2025-10-27)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.