Biographien Rezensionen Diskutieren im versalia-Forum Das versalia.de-Rundschreiben abonnieren Service für Netzmeister Lesen im Archiv klassischer Werke Ihre kostenlose Netzbibliothek

 



Save Ukraine!
Save Ukraine!


Love all Animals

Literaturforum: Peter von Matt - Das Wilde und die Ordnung


Aktuelle Zeit: 19.03.2024 - 10:06:31
Hallo Gast, Sie sind nicht eingeloggt!
Suche | Mitglieder | Neu | Statistik

Forum > Rezensionen II > Peter von Matt - Das Wilde und die Ordnung
Seite: 1
[ - Beantworten - ] [ - Drucken - ]
 Autor
 Thema: Peter von Matt - Das Wilde und die Ordnung
Schreiber
Mitglied

25 Forenbeiträge
seit dem 11.12.2007

Das ist Schreiber

Profil      
Eröffnungsbeitrag Abgeschickt am: 17.12.2007 um 20:02 Uhr

LESEN ALS ABENTEUER
Peter von Matt, Das Wilde und die Ordnung
(Carl Hanser Verlag, München 2007) 293 S., €24,90
"Ich liebe die Bücher, die man nicht gelesen haben muß" - so lautet einer von Matts Kernsätzen des vorliegenden Bandes. Vor zehn Jahren etwa postulierte er die Schönheit, die Vollkommenheit und die Dauer als Kriterien der Lyrik (´Die verdächtige Pracht´, 1998) und zitierte aus dem Horaz: dem seinen Stoff sorgsam wählenden Dichter "wird´s an Gedanken / und Klarheit nie, auch nie an Ordnung fehlen." Jetzt plädiert Matt für die "fremde, wilde Wahrheit" außerhalb der Ordnung - er geht "Gebilden der Offenheit, der Brüche, der zufällig versammelten Zeichen" nach. Er möchte den "guten Leser" weglocken von den "Hauptstraßen" des Literaturkanons, wie er "durch die Gewohnheiten des Deutschunterrichts einmal populär wurde", auf "die Seitenwege, die Trampelpfade und das Ungebahnte" - und landet bei Goethe, Lichtenberg, Mörike, Heine, Nestroy, Kafka oder Freud. Eigentlich also autoren, die zum Kanon gehören - aber es kommt eben auf die Textauswahl und die Betrachtungsweise an.
Matt sieht allein schon die (deutsche) Sprache nicht als Einheit, sondern als "Wildnis von so dschungelhafter Vielfalt, daß keiner sagen kann, er kenne sich darin bis in die letzten Reviere aus." Und solche "dschungelhafte Vielfalt kennzeichnet aber auch die deutsche Literatur." Auch hier gibt es keine Einheit, weil es keine Norm geben kann (die es für die Sprache doch eigentlich gibt - zumindest nach dem Duden). Freilich möchte man eine Übersicht(lichkeit) gewinnen, mit etwas vertraut sein, über etwas verfügen. Grundsätzlich wünscht sich Matt, daß wir der Sprache und der Literatur mit "neugieriger Liebe" begegnen - dann bleiben sie "lebendig" in der Weise, wie schon Faust von seinem "geliebten Deutsch" sprach. Matt empfiehlt uns eine Art Abenteuertoursimus in der deutschen Literatur."
Schließlich versucht er einige literarische Werke so zu interpretieren, wie es womöglich noch niemand getan hat. Die ´Wahlverwandtschaften´ sind eine Ausgeburt des Magnetismus, in ´Faust II´ entdeckt er eine Kopulationsszene, er verrät uns, was Lichtenberg mit Schneeballwerfen zu tun hat - und im Zusammenhang mit Conan Doyles geistigem Diebstahl bei Poe doziert Matt: "Ein großer Autor muß zu stehlen wissen. Nur die Mittelmäßigen sind auf ihre eigenen Erfindungen angewiesen." Mit solchen Ansichten schlägt er natürlich der gesamten Genie-Ästhetik aufs Haupt. Sehr aufschlußreich erweist sich jedenfalls der Vergleich Hauff - E.T.A. Hoffmann; überraschend mag die Charakterisierung Mörikes sein: "einer der unberechenbarsten deutschen Dichter. Wo er am harmlosesten erscheint, kann es plötzlich diabolisch blitzen." Wir erfahren etwas über Heines Beziehung zum Teufel sowie die Dialektik von Dummheit und Intelligenz bei Nestroy.
Eigentlich könnte man sagen, sind die Beiträge Matts doch nicht so abwegig im doppelten Sinn: er hat durchaus anerkannte Literaten ausgewählt und von denen nicht unbedingt die unbekanntesten Werke. Etwas "abenteuerlich" sind manchmal die Aspekte, unter denen er den einen oder anderen Text begutachtet. Matt gesteht, daß er "vom einzelnen Satz oft mehr fasziniert ist als vom ganzen Text" - und macht sich Gedanken darüber, ob ein guter Dichter auch ein guter Mensch sein müsse - was etwa für Schiller oder Celan so gelten sollte.
Der zentrale Aufsatz dieser vorliegenden Sammlung ist wohl ´Freud und das Lesen´ mit dem Untertitel ´Die Entdeckung der Gegenwahrheiten im Text´. Matt meint, daß nach dem autonomen Denken, welches die Aufklärung forderte, durch Freuds Haltung des "Beobachtens" eine neue Aufmerksamkeit für den Text eingeführt wurde, welche sich "von den bisherigen Verfahren der Empirie und Hermeneutik wesentlich unterscheidet." Und Matt behauptet gar, daß es im Text nichts gibt, "was von unter- oder nebengeordneter Bedeutung wäre. Da herrscht keine Hierarchie der sinntragenden und sinnleeren, der wichtigen und belanglosen Wörter und Wortverbindungen." Für den "Beobachter" ist der Text ein "blühendes, farbenwerfendes Chaos" - das kritische Denken filtert dann den Sinn heraus, dabei "erlöschen alle jene Farben, Formen, Zeichen und Lichter, die nicht im Dienste des gesuchten Sinns, der einmal gesetzten Bedeutung stehen." Abgesehen davon, daß die Sache mit der Sinnsetzung durch den Autor und der Sinnfindung durch den Leser und Interpreten meist nicht so direkt und eindimensional aufeinander abgestimmt funktioniert, sollte man dieses anregende Buch als Verständnisanregung durchaus griffbereit haben. KS

Nachricht senden Zitat
Seite: 1
[ - Beantworten - ] [ - Drucken - ]
Forum > Rezensionen II > Peter von Matt - Das Wilde und die Ordnung


  Ähnliche Beiträge
Gestartet von
Antworten Letzter Beitrag
peter pan
Lily Roth
0 27.03.2017 um 19:09 Uhr
von Lily Roth
Peter Altenberg und der bürgerliche Selbsthass
ArnoAbendschoen
3 04.03.2014 um 21:22 Uhr
von ArnoAbendschoen
Peter Gruber - Tod am Stein
Seite: 1 2
hwg
12 24.11.2013 um 14:20 Uhr
von Hermes
Peter Braun - Eine Reise durch das Werk von Hubert Fichte
ArnoAbendschoen
0 04.10.2012 um 15:17 Uhr
von ArnoAbendschoen
Peter Handke erhält Heine Preis 2006
Seite: 1 2 3 4
bodhi
34 10.05.2008 um 22:03 Uhr
von LX.C


Sie möchten hier mitdiskutieren? Dann registrieren Sie sich bitte.


-> Weitere Bücher von Peter von Matt



Buch-Rezensionen:
Anmelden
Benutzername

Passwort

Eingeloggt bleiben

Neu registrieren?
Passwort vergessen?

Neues aus dem Forum


Gedichte von Georg Trakl

Verweise
> Gedichtband Dunkelstunden
> Neue Gedichte: fahnenrost
> Kunstportal xarto.com
> New Eastern Europe
> Free Tibet
> Naturschutzbund





Das Fliegende Spaghettimonster

Ukraine | Anti-Literatur | Datenschutz | FAQ | Impressum | Rechtliches | Partnerseiten | Seite empfehlen | RSS

Systementwurf und -programmierung von zerovision.de

© 2001-2024 by Arne-Wigand Baganz

v_v3.53 erstellte diese Seite in 0.043445 sek.