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Literaturforum: Januar 2016


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Forum > Lektüregespräche > Januar 2016
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 Thema: Januar 2016
ArnoAbendschoen
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Eröffnungsbeitrag Abgeschickt am: 08.01.2016 um 23:18 Uhr

Meine gegenwärtige Lektüre:

Christopher Isherwood, Willkommen in Berlin - Christopher und die Seinen

Der Umgang mit Isherwood im deutschen Sprachraum ist bezeichnend für unser flaches geistiges Niveau. Das auf zwei seiner frühen Romane beruhende Musical "Cabaret" sowie der gleichnamige Film über denselben Stoff fanden begeisterte Aufnahme, entfalteten Massenwirkung über Jahrzehnte. Isherwoods Werke selbst blieben eher ungelesen. Da ich den Film untermittelmäßig und den Trubel um ihn ungerechtfertigt fand, hielt auch ich mich von Isherwood fern.

Neulich stieß ich in Teemans Gore Vidal-Biographie auf die Gestalt des englischen Schriftstellers und scharfsinnige Zitate von ihm. Also die Übersetzung von "Christopher and His Kind" besorgt. Da ist manches verdrießlich: der deutsche Titel, die viel zu späte Übersetzung, das Erscheinen in einem kleinen Nischenverlag, das scheußliche Titelbild ...

Aber sonst: wie reich an Material, wie geistreich! Isherwood beschreibt zehn Jahre seines Lebens (1929 - 1939), liefert ein düsteres Panorama der Zeit, stellt fast zu viele Personen vor, darunter viele Berühmtheiten (W.H. Auden, E.M Forster, André Gide, Magnus Hirschfeld u.a.). Ziemlich einzigartig dürfte die kritische Abrechnung mit dem eigenen Frühwerk sein. Wir erfahren, inwiefern sein reales Leben sich von den daraus abgeleiteten Romanen unterschied und warum es interessanter und besser strukturiert und motiviert war. Ein fesselnder Ansatz: die Überlegenheit des Autobiographischen gegenüber der sekundären Fiktion. Nebenbei distanziert er sich noch von "Cabaret", Musical wie Film.

Noch zum Titel: Es geht auch um Berlin um 1930, doch der überwiegende Teil des Textes spielt nicht dort, sondern an vielen anderen Orten.

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Kenon
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1. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 09.01.2016 um 00:47 Uhr

"Christopher and his kind" ist das einzige Buch, das ich von Isherwood mal gelesen habe. Ich hatte mir wirklich mehr davon versprochen, wird doch von den Verlagen so in den Vordergrund gestellt, dass es die 1930er Jahre in Berlin zum Hintergrund hat. Ich habe es eben auch nach einigem Suchen im Regal gefunden, das Lesezeichen sitzt ungefähr in der Buchmitte. "Christopher and his kind" fand ich ziemlich belanglos, und ich kann mich tatsächlich an nichts weiter erinnern außer an die mir unerträgliche Erzählweise: Zwar nicht in der Ich-Form, aber doch gnadenlos wenig reflektiert und egozentrisch, wie die ungewollt zu ertragende Zur-Schau-Stellung eines Poesie-Albums oder einer Schmetterlingssammlung: Seht her, mein aufregendes Leben, meine wichtigen Bekanntschaften, meine intimen Kenntnisse. Mich hat es wirklich nicht begeistert.

Wenn Du das Cover des Buches aus dem Bruno Gmünder Verlag meintest: Es ist tatsächlich schrecklich. Es konstratiert sich schön mit der englischen Ausgabe bei Vintage Classics. Meine ist von der University Of Minnesota Press - auf dem Cover: zwei Schwimmer / Taucher dicht beieinander. Die Person Isherwood scheint die University Of Minnesota ja sehr zu beschäftigen:

https://www.upress.umn.edu/book-division/books/the-american-isherwood

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ArnoAbendschoen
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2. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 09.01.2016 um 11:11 Uhr

Tja, Kenon, unsere gegensätzliche Aufnahme des Textes verkörpert wohl die beiden Extreme, die hier möglich sind. Dennoch denke ich, dass die Abneigung gegen den Erzählstil dich möglicherweise die Qualitäten des Buches zu gering hat einschätzen lassen. Schon als Materialsammlung ist es beachtlich. Z.B. werden im Berliner Teil die Wohnverhältnisse damals oder HIrschfelds Institut und Umfeld gut dargestellt. Die Überfülle an Personen erschwert die Lektüre, und diese vielen Figuren werden recht unterschiedlich behandelt, mal en passant, mal gründlicher. Dazu kommt erschwerend hinzu, dass ihre Porträts (z.B. das von Auden oder von Spender) in Bruchstücken über die Kapitel verteilt sind. Die Personen entwickeln sich im Lauf der Zeit, wie eben im Leben üblich.

Egozentrisch? Nun, wenn man ausgiebige Selbstreflexion und gerade auch Selbstkritik so rubrizieren möchte, dann ist es das.

Ich habe auch erst gut die Hälfte gelesen. Meine Meinungsbildung ist noch nicht abgeschlossen.

Arno Abendschön

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ArnoAbendschoen
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3. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 16.01.2016 um 15:08 Uhr

Buch zu Ende gelesen, es war für mich unter folgenden Gesichtspunkten beeindruckend:

a) Schonungslose literarische Selbstkritik, auch der eigenen Egozentrik

b) enorme Materialfülle - sie resultiert aus zweierlei: Vernetzung als erfolgreicher Jung-Autor innerhalb der zeitgenössischen englischen Literatur - häufiger Wohnsitzwechsel quer durch Europa

c) historisch interessant: wie Isherwood, ähnlich vielen anderen Schriftstellern damals, in den 1930ern seine Illusionen bezüglich einer linken Politik verliert. Bei ihm kommt zum Stalinismus allgemein und dem Terror im Spanischen Bürgerkrieg die Verfolgung von Homosexuellen in der UdSSR hinzu.

d) die Begründung seines persönlichen emotionalen Pazifismus (wird am Buchende sehr eigenwillig aus Erotik abgeleitet)

Noch ein Wort zur deutschen Ausgabe (Bruno Gmünder) - miserabel! Der Lektor hat auf Bl. 9 eine Anmerkung beigesteuert - danach glänzt er nur noch durch Abwesenheit. Beispiele:

Bl. 219: Die Begriffe "dänisch" und "holländisch" werden offensichtlich wiederholt verwechselt.

Bl. 281: Christopher und Heinz bleiben in Luxemburg "bis 1935". Tatsächlich waren sie dort nur kurze Zeit im Frühjahr 1937.

Bl. 300: Isherwood und Auden fahren angeblich mit dem Schiff von Paris "nach Marseille". Richtig: Sie sind von Marseille abgefahren, Richtung China.

Bl. 316: Auf der Rückreise von China übernachten Isherwood und Auden "vom 17. auf den 18. Januar" in einem Hotel in Tokio. Tatsächlich war das im Juni 1938."

Bl. 335: Am 19.1.39 soll das "einjährige Jubiläum ihrer Abreise aus China" gewesen sein. Tatsächlich haben I. und A. sich von Februar bis Juni 1938 in China aufgehalten.

Bitte bei Neuauflage unbedingt korrigieren - und am besten auch gleich die falschen Angaben auf dem Einband. Isherwood hat Deutschland nicht "1934", sondern schon im Mai 1933 verlassen. Grob verfälschend ist das: "Er (Isherwood) beschreibt fesselnd, wie er seinen deutschen Freund aus den Fängen der Nazis befreit." Eben nicht: Nachdem sie durch ein gutes halbes Dutzend Länder geirrt sind, wurde Heinz 1937 in Trier von der Gestapo verhaftet und vor Gericht gestellt. Isherwood hat ihn erst 1952 erneut getroffen, in Berlin.

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