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Literaturforum:
Literatur heute
Forum > Literaturgeschichte & -theorie > Literatur heute
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Autor
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Thema: Literatur heute
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LX.C
Mitglied
1770 Forenbeiträge seit dem 07.01.2005
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Eröffnungsbeitrag |
Abgeschickt am: 04.06.2009 um 11:52 Uhr |
Diese Nachricht wurde von LX.C um 11:54:34 am 04.06.2009 editiert
[Quote]Die Stellung der Literatur ist so vage und diffus, so randständig und auf sich selbst zurückgeworfen, daß kein Mensch mehr daran denkt, sie für irgendeinen Zweck zu gebrauchen oder zu mißbrauchen; man würde sich mit ihr ein Kuckucksei ins Nest legen, man würde sich lächerlich machen.
Und ihre »hohen Lobesworte« holt sich die Literatur selbst ab, indem sie auf allen Festivitäten der Medien tanzt, indem sie das Gnadenbrot frißt, das ihr in den Palästen der Zeitungshäuser und Fernsehanstalten gereicht wird. Manchmal habe ich den Eindruck, […] daß sich die Literatur in einem dauernden Ansturm auf die Paläste der öffentlichen Medien befindet, in denen ihr Platz eigentlich nicht zu finden ist.[/Quote]
Quelle: Hilbig Wolfgang: Literatur ist Monolog, Büchner-Preisrede 2002: http://www.deutscheakademie.de/druckversionen/buechner_2002.html
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Gast873
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1457 Forenbeiträge seit dem 22.06.2006
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1. Antwort - Permalink - |
Abgeschickt am: 04.06.2009 um 21:22 Uhr |
das wort "gnadenbrot" erinnert mich sehr stark an den begriff "freitisch", jenen freitisch, den reiserus mit bitteren tränen als junger mensch aß. ich kenne die "freitische" erst seit der lektüre des erwähnten romans von moritz ;-)
starker und bitterer seelentobak. aber das nur marginal. wie stehst du denn zu dem oben genannten zitat?
grüße,
das bescheidene barett
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LX.C
Mitglied
1770 Forenbeiträge seit dem 07.01.2005
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2. Antwort - Permalink - |
Abgeschickt am: 04.06.2009 um 23:55 Uhr |
Diese Nachricht wurde von LX.C um 23:56:18 am 04.06.2009 editiert
Ich finde es treffend. Die gesellschaftsrelevante Funktion der Literatur ist verspielt. Diese Funktion haben längst andere Medien übernommen, an deren Pforten Literatur wiederum meint, artig klopfen zu müssen, um sich als Konsumprodukt durchsetzen zu können, worin sie heute, wenn man sich so die Auslagen anschaut, oftmals ihre einzige Funktion zu sehen scheint. Du siehst ja selbst, wer der Literatur eine ernstere Stellung als der Unterhaltung zuschreiben will, wird belächelt oder als ewig gestriger beschimpft.
Vielleicht trügt aber auch das Bild. Vielleicht entsteht solch ein Eindruck nur durch eine verzerrte Wahrnehmung, durch die Wahrnehmung klassischer Literatur. War doch schon zu Zeiten Goethes, Schillers, Moritz, Hölderlins und wie sie nicht alle heißen, die sich bis heute durchgesetzt haben, Literatur ein kommerziell orientierter Massenbuchmarkt kurzweiligster Schriften, unter deren Flut die oben genannten kaum wahrgenommen wurden.
Du siehst, das Thema bietet Kontroversen. Versäumen möchte ich aber nicht, anzuregen, die Rede Hilbigs vollständig zu lesen, es lohnt sich; großartige Reflexion über Literatur und Medien.
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LX.C
Mitglied
1770 Forenbeiträge seit dem 07.01.2005
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3. Antwort - Permalink - |
Abgeschickt am: 10.06.2009 um 15:35 Uhr |
[Quote]Der Schreibende, so sehr er Mikrophon und Kamera und Scheinwerfer scheuen mag, wird sich dem neuen heraufziehenden Analphabetentum von Bildzeitung, Comicstrips, Fernsehen und auf höherer Ebene von technischen Formeln, die uns manipulieren, automatisieren, vielleicht zum Mond führen werden, stellen müssen. […] ohne die ihm geschenkte Gnade werden die Mitteilungsapparate der Gedanken, der Worte, der Bilder nur Geräusche erzeugen, Geräusche und Schatten und Wind und den letzten Tornado, der alles begräbt. (Koeppen, 1962)[/Quote]
Quelle: Wolfgang Koeppen, in: Büchner-Preis-Reden 1951-1971, Reclam jun., Stuttgart 1981, S. 121.
Hat er das? Hat sich der Schriftsteller diesen Herausforderungen gestellt? Oder ist seine Stimme untergegangen und erzeugt selbst nur noch Geräusche, die vom Winde verweht verhallen.
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aristide
Mitglied
13 Forenbeiträge seit dem 19.07.2009
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4. Antwort - Permalink - |
Abgeschickt am: 20.07.2009 um 14:21 Uhr |
Hallo,
dass die Literatur so ist, wie sie ist, hat sie sich größtenteils selbst zuzuschreiben - in Deutschland!
Andernorts, in Ländern mit starker Repression, nicht vorhandener Pressefreiheit und zur Selbstkritik unfähigen Machthabern (z.B. Iran) umgibt Literatur die Aura des Unheimlichen, Unberechenbaren und daher Hochverräterischen (siehe Salman Rushdie, der wegen der Satanischen Verse noch immer um sein Leben fürchten muss). Abgesehen von der menschlichen Tragödie: Welche Ehre für die Literatur (ex negativo) das doch ist! Wo sonst nimmt man sie noch so ernst, dass man den Urheber mit Mordaufrufen verfolgt?
Ich will damit nur sagen, dass man Literatur dort immer noch ernst nimmt, wo sie sich schmerzhaft einmischt. Beispiele - wenn auch matte - gibt es hierzulande auch noch ab und an: Martin Walser schreibt in der "Zeit" gegen den Bundeswehreinsatz in Afghanistan, und Günther Grass meldet sich immer mal wieder mit einer Abiturrede über mündige Menschen (auch in der "Zeit") oder über deutsche Missstände.
Aber der große Rest unserer Autoren? Richtet es sich bequem ein im Paradies der Toleranz und der allgemeinen Gleichgültigkeit und der Selbstreferenzialität.
Niemand zwingt die Autoren zur politischen Abstinenz. Niemand verpflichtet unsere Literatur zur narzistischen Nabelschau. Niemand droht mit Strafen bei Einmischung in gesellschaftspolitische Angelegeneheiten. Und die Mehrzahl der Autoren schweigt trotzdem.
Autoren sind klar selbst schuld, wenn sie nur Geräusche erzeugen. Sie müssen sich nicht begnügen mit Moritzßschen "Freitischen". Denn wenn sie sich mit echten unzeitgemäßen Betrachtungen quer zum Mainstream stellen, werden sie auf die Freitische verzichten und öffentliches Unverständnis, Ignoranz, Abwehr gegen ein Sich-Einrichten im Wohlstand eintauschen.
Nur: wollen sie das überhaupt?
Grüße
Aristide
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Samvel
Mitglied
4 Forenbeiträge seit dem 28.07.2009
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5. Antwort - Permalink - |
Abgeschickt am: 28.07.2009 um 06:59 Uhr |
Auch meine Meinung:
Dort, wo wenig Freiheit für den Geist herrscht, hat Literatur die besten Voraussetzungen, zu wahrer Größe zu erwachsen, z.B. in Russland und Südamerika. Literatur versucht dort durchzusetzen, was die Wirklichkeit dem Geist verwehrt.
In Deutschland gibt es Literatur offensichtlich nur noch als Kommerz oder egomanische Show.
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