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Literaturforum: Nicht perfekt – aber perfertig


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Forum > Literaturgeschichte & -theorie > Nicht perfekt – aber perfertig
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 Thema: Nicht perfekt – aber perfertig
Kenon
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Eröffnungsbeitrag Abgeschickt am: 27.12.2020 um 23:38 Uhr

Einem vollendeten Text ist nichts hinzuzufügen. Versucht macht es trotzdem, gibt es am Ende zwar mehr Worte als zuvor, oft aber nehmen sie etwas vom ursprünglichen Text weg, werfen einen Schatten auf ihn; wenn das nachträglich Hinzugefügte wichtig gewesen wäre, würde es bereits in ihm enthalten sein. Deswegen ist es für einen Autoren meist ratsamer, zu einem Text zu schweigen: Schaffen, nicht zerstörreden. Natürlich ist kein Text perfekt, aber irgendwann ist er fertig - der Autor kann und möchte nicht länger an ihm arbeiten und gesteht sich ein: “Dieser Entwurf ist der letzte. Ich könnte zwar schon noch hier und da etwas umarrangieren, aber häufig ergeben sich dann - wenn überhaupt - nur lokale Verbesserungen, die zu Schäden in der Nachbarschaft führen”. Es ist der Moment, wo der Text zu seinem Schöpfer spricht: “Danke, dass Du mich geschaffen, mir ein Leben gegeben hast. Es gehört aber nun mir, und Du tust am besten so, als hättest Du nie etwas mir zu tun gehabt. Denke lieber an Deinen nächsten Text. Auch er wird nicht perfekt sein, aber vielleicht perfertig”.

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Itzikuo_Peng
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235 Forenbeiträge
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1. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 28.12.2020 um 05:17 Uhr

Zustimmung. Um sich selbst vor Verschlimmbesserungen zu bewahren, brauchte man, wie in Schule oder sonstwo, eine Abgabe nach einer Frist, zB 2 Stunden oder so. Das erfordert allein am Schreibtisch manchmal schon höchste Disziplin.


Miau
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Kenon
Mitglied

1484 Forenbeiträge
seit dem 02.07.2001

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2. Antwort   - Permalink - Abgeschickt am: 13.07.2021 um 23:17 Uhr

Beim Philologen Wolfgang Schadewaldt (1900-1974) findet sich folgende Stelle in seiner Tübinger Thukydides-Vorlesung (1961/62), die das oben beschriebene Phänomen sachlicher umreisst – auch wenn sie es auf “große Werke” zu beschränken sucht:

Zitat:

Jede Bearbeitung ist ja nicht unsinnig, sondern so, daß sie doch wieder sinnvoll ist, und doch kann man ihr anmerken, daß sie nicht das Erstgedachte ist. Dieses hat das einfach Gewachsene, Bruchlose, Lebendige an sich. Wenn aber bei großen Werken der Autor nicht dabei stehen bleibt, sondern mehrfach gedacht hat und eine andere Form hineinschiebt, dann zeigt sich nicht mehr diese einfache Geschlossenheit, so daß man den Vorgang noch erkennen kann.

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