ArnoAbendschoen
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   718 Forenbeiträge seit dem 02.05.2010

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Eröffnungsbeitrag |
Abgeschickt am: 21.12.2012 um 17:34 Uhr |
Auf nicht wenigen Gabentischen dürften sie wieder liegen, die Bücher von Hermann Hesse, gerade im fünfzigsten Todesjahr des Dichters. Und die oder der Beschenkte bedankt sich, beginnt zu blättern, zu lesen und sich fesseln zu lassen, z. B. von
NARZISS UND GOLDMUND
(Hesse gewährt uns hier Einblicke ins Klosterleben des Mittelalters. Nur Männer und keine Frauen, kann das denn gut gehen? Die Leserschaft beschleicht bald ein Verdacht – aber die Antwort unverdorbener Natur lässt zum Glück nicht lange auf sich warten. LeserIn, atme auf! Oder erst mal nur durch, denn alles hat ja gerade erst angefangen.)
Viel mehr, als der Knabe ahnte, waren Narzissens Gedanken mit ihm beschäftigt. Er wünschte sich diesen hübschen, hellen, lieben Jungen zum Freunde … „Goldmund!“ flüsterte sie. Er blieb stehen. „Kommst du einmal wieder?“ fragte sie. Ihre schüchterne Stimme war nur ein Hauch …Sein junges Liebesbedürfnis war soeben, durch den Anblick und Kuss eines hübschen Mädchens, mächtig aufgeweckt und zugleich hoffnungslos zurückgeschreckt worden …
(Kein Wunder, dass die erste Nervenkrise bald da ist – und es werden noch viele und viel schlimmere folgen. Dazu ein überforderter Klostervorsteher, der es trotzdem auf den Punkt bringt. Dann wieder Narziss & Goldmund, sie sind ein bisschen ratlos, der eine oder andere Leser auch schon. )
Gleich muss ich sterben, empfand er ergrausend … Zuckend sank er am Fuße der Säule nieder … Abt Daniel hatte einen wenig erfreulichen Tag gehabt … Es war kein guter Tag heute, nun auch dies noch! … Narziss, wie immer mit beherrschter Haltung und Sprache … „Ihr wisst, er ist im Alter, wo die Kämpfe mit dem Geschlechtstrieb beginnen.“ … Was brauchte auch so ein frischer, helläugiger Junge, so ein liebes Naturkind sich ausgerechnet mit diesem hochmütigen Gelehrten einzulassen … „Laß gut sein“, sagte er sanft, „du weißt wohl, dass du mir nicht entleidet bist.“
(Gleich kommt noch ein Naturkind, wie überhaupt bei Hesse die Natur so überaus natürlich ist. Und noch einmal Narziss und Goldmund, Ersterer will es nun ganz genau wissen.)
„Ich bin Lise“, sagte sie. „Lise“, sprach er nach, den Namen kostend, „Lise, du bist lieb.“ Sie brachte ihren Mund nahe an sein Ohr und flüsterte hinein: „Du, ist es das erste Mal gewesen? Hast du vor mir noch keine liebgehabt?“ – „Dein Zustand, o amice, trägt alle Kennzeichen jener Art von Trunkenheit, die man Verliebtheit nennt. Nun sprich aber, bitte.“
(Ex-Novize goes Sündenbabel oder Jung-Casanovas Lehrzeit. Das Naturkind erweist sich als sehr gelehriger Schüler der Natur. Aber vor dem Genuss immer das Lernen! Hesse beherrscht viele Genres, er mischt sie ein bisschen und es kommt heraus: der erotisch-didaktische Bildungsroman, Wilhelm Meisters Lehrjahre durch die Betten oder Wie Frauen klingen.)
Von den Frauen zu lernen wurde er nicht müde … auch von den Frauen lernte er gern … Er aber lernte. Er lernte nicht nur in kurzer Zeit viele Liebesarten und Liebeskünste … lernte bei manchen Frauen schon aus deren Klang unfehlbar ihre Art und den Umfang ihrer Liebesfähigkeit erraten … hier lernte er ohne Mühe, hier vergaß er nichts …
(Noch ein kulturgeschichtliches Dokument: Wie sich Altherrenerotik in der Literatur der Adenauerzeit spiegelt. Ein Streicheln in Ehren, wer will es verwehren … Aber dann plötzlich ein kühner Vorgriff auf die sexuelle Revolution!)
„Es war gräßlich und schamlos, wie du da vor meinen Augen dieser Frau schön getan hast! Hast du denn keine Scham? Sogar das Bein hast du ihr gestreichelt, unterm Tisch, unter unserem Tisch! Vor mir, vor meinen Augen …“ Er streichelte sachte ihre Knie, und indem er ganz zart ihre Scham berührte, bat er: „Blümchen, wir könnten so sehr glücklich sein! Darf ich nicht?“ Sie drängte ohne Unwillen, aber mit Kraft seine Hand beiseite und rückte etwas von ihm weg … „Ich mag nicht so allein in der Kammer liegen. Entweder ihr nehmet mich zu euch und wir liegen zu dreien, oder ich gehe und wecke den Vater.“
Tja ... Oder der oder die Beschenkte blättert in
DEMIAN:
(Das hier ist Jahrzehnte vorher geschrieben und Hesse noch auf dem Zenit seiner erotischen Schriftstellerpotenz. Sein Ich-Erzähler ist, obwohl unersättlich, doch einer mit Selbstkritik. Ach, wie gern würde er, statt dauernd angepasst, immer unersättlicher sein … Aus solchem Stoff sind Bestseller gemacht – du musst den potentiellen Leser da packen, wo er am tiefsten unbefriedigt ist. Identification sells.)
Sie musste kommen und meine Umarmung ersehnen, mein Kuss musste unersättlich in ihren reifen Liebeslippen wühlen … „Ja, es war eine von meinen Anpassungen. Du weißt, ich bin nach außen nie gern aufgefallen und habe immer eher etwas zuviel getan, um korrekt zu sein.“
(Jetzt versetzt sich der Zivilist Hesse von der Schweiz aus in das Gemüt eines wehrhaften, unsentimentalen deutschen Soldaten von 1914. Ob er den Originalton getroffen hat, ist zweifelhaft.)
„Na, Junge, sentimental mußt du das nicht auffassen. Es wird mir im Grund ja kein Vergnügen machen, Gewehrfeuer auf lebende Menschen zu kommandieren, aber das wird jetzt nebensächlich sein …“
(Zur Abwechslung noch mal hohe Erotik, mit etwas Natur abgeschmeckt. Und darüber eine der Konstanten - Sittengesetz und so weiter -: der Sternenhimmel. Hatten wir zwar schon oft, aber einmal geht noch.)
Groß und fürstlich schritt die Geheimnisvolle zwischen den schweigenden Bäumen und über ihrem Haupt glommen klein und zart die vielen Sterne.
(Hesse erklärt uns die tiefsten Ursachen des Ersten Weltkriegs. Vielleicht doch was dran an dem Gerede, dass der Krieg der Vater aller Dinge sei? Und dass die lange Friedenszeit unvermeidlich in den Krieg geführt habe?)
Nein, die Objekte, ebenso wie die Ziele, waren ganz zufällig. Die Urgefühle, auch die wildesten, galten nicht dem Feinde, ihr blutiges Werk war nur Ausstrahlung des Innern, der in sich zerspaltenen Seele, welche rasen und töten, vernichten und sterben wollte, um neu geboren werden zu können …
(Augustinus: tolle et lege, auch mal auf Hesse anwenden – und dann bitte Schlüsse daraus ziehen.)
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