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Literaturnobelpreis für Swetlana Alexijewitsch


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Autor
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Thema: Literaturnobelpreis für Swetlana Alexijewitsch
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Kenon
Mitglied
    1493 Forenbeiträge seit dem 02.07.2001

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Eröffnungsbeitrag |
Abgeschickt am: 08.10.2015 um 22:33 Uhr |
Swetlana Alexijewitsch, geboren 1948 in Stanislaw (ukrainische SSR), hat heute den Literatur-Nobelpreis "für ihr vielstimmiges Werk, das dem Leiden und Mut in unserer Zeit ein Denkmal setzt", erhalten. Herzlichen Glückwunsch dazu und vielen Dank für das Buch "Secondhand-Zeit: Leben auf den Trümmern des Sozialismus".
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ArnoAbendschoen
Mitglied
   718 Forenbeiträge seit dem 02.05.2010

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1. Antwort - Permalink - |
Abgeschickt am: 09.10.2015 um 11:23 Uhr |
"Secondhand-Zeit" habe ich schon voriges Jahr gelesen. Die Autorin hat tatsächlich durch ihre Interviews enorme Mengen an höchst Wissenswertem zusammengetragen. Insofern ist das Buch durchaus zu empfehlen.
Dennoch ist kritisches Lesen nötig. Ihre Darstellungsmethode erweckt gelegentlich Zweifel an der Authentizität des Materials. Dass sie selbst den Interviewten redigierend eine Stimme verleiht, ist zu akzeptieren. Sie geht aber noch einen Schritt weiter, indem die Interviewten selbst sich ihrerseits akribisch und mit vielen Details an Gespräche erinnern, die sie vor langer Zeit mit der Autorin unbekannten Personen geführt haben. Ein Beispiel dafür findet sich auf Bl. 119 ff. (und später noch viele weitere). Da werden die Interviewten selbst zu Interviewenden und scheinen sich Jahre zuvor genaue Notizen gemacht zu haben (dann auch oft längere wörtliche Rede der Drittpersonen). Zumindest ein bisschen bedenklich, dieses literarische Verfahren.
Am Tag der Preisverleihung konnte man in 3SAT-Kulturzeit ein Interview mit Alexijewitsch hören, in dem sie aus geopolitischer Sicht vor allem dem Westen und dessen Politik Russland gegenüber seit den 1990er Jahren einen Großteil von Schuld an der Entwicklung gibt. Sie zeigte sogar Verständnis dafür, dass der ihr sonst alles andere als sympathische Putin keine NATO-Basen auf der Krim haben wollte. In der Mediathek von 3SAT ist das Video - Titel: Krise vorbei? (2014), vor allem ab Minute 2.40 interessant - noch fünf Tage lang anzusehen und zu -hören.
Frau A. ist ohne Zweifel eine gescheite, tüchtige und verdienstvolle Frau. Man sollte sie in keinem Fall für einseitige politische Propaganda missbrauchen.
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Kenon
Mitglied
    1493 Forenbeiträge seit dem 02.07.2001

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2. Antwort - Permalink - |
Abgeschickt am: 09.10.2015 um 22:35 Uhr |
Zitat:
Sie zeigte sogar Verständnis dafür, dass der ihr sonst alles andere als sympathische Putin keine NATO-Basen auf der Krim haben wollte.
Übersetzt wird sie mit:
"Ja, klar, wenn man das alles nur machtpolitisch sieht, dann kann man Putin ja sogar verstehen, dass er ..." keine NATO-Basen auf der Krim haben wollte. Den O-Ton hört man leider kaum.
Machtpolitisch kann man sicherlich auch ganz andere Verbrechen "verstehen". Damit ist ja noch lange nichts gerechtfertigt.
Zum Krieg Russlands gegen die Ukraine hat sie sich eindeutig positioniert:
Zitat:
How is it possible to deluge the country with blood, criminally annex Crimea and destroy this fragile after-war peace? There are no excuses.
I am just from Kyiv, and I was astonished by the people I saw. They want a new life, they are ready for a new life. And they will fight for it.
Hundreds of Russian tanks in Donbas is not a sort of a conversation; pitting fraternal nations against each other means death for a politician.
https://charter97.org/en/news/2015/5/15/151651
Die Tradition der Gewalt, des Landraubs, des Elends, des Jammerns und Ertragens in Russland ist groß. Ich finde es zu einfach, dem Westen die Schuld zuzuschieben, dass sie fortgeführt wird. Russland muss sich schon von selbst in eine freie, demokratische Zukunft bewegen. So wie die Ukraine.
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ArnoAbendschoen
Mitglied
   718 Forenbeiträge seit dem 02.05.2010

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3. Antwort - Permalink - |
Abgeschickt am: 09.10.2015 um 23:13 Uhr |
Kenon, in diesem Interview geht die Autorin auch ausführlich auf die Vorgeschichte des Ukraine-Krieges seit den 1990er Jahren ein. Sie erklärt die Entstehung des "Putinismus" in Russland primär aus der Behandlung Russlands durch den Westen damals, insbesondere durch die NATO. Ihre Auffassung deckt sich insoweit z.B. mit der des US-Politologen Mearsheimer.
Selbstverständlich kann man aus dem weiteren Verlauf unterschiedliche Strategien für eine Bewältigung der Krise ableiten. In praktischer Politik geht es jedoch gewöhnlich nicht um "Rechtfertigung", sondern um Interessen und auch um Vertrauen. Die deutsche Politik ist ja klug genug, danach zu handeln.
Wir müssen das alte Thema aber nicht wieder ausführlich beackern. Mir ging´s hier um Frau Alexijewitsch, deren Kompetenz ich schätze.
Arno Abendschön
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